Katja Diehl: „Die Klimakrise ist sehr viel größer als die Coronakrise!“

Jul 29, 2020 | Interviews, Personenverkehr

Katja Diehl ist ist Kommunikations- und Unternehmensberaterin mit den Schwerpunkten Neue Mobilität und Diversität. Auf ihrem Blog und in ihrem Podcast #SheDrivesMobility behandelt Sie viele spannende und brisante Themen aus der Verkehrs- und Transportwelt. Ab September wird Katja Ihre Erfahrungen und Ihr Know-How im Beirat zur Umsetzung und Weiterentwicklung der Forschungs-, Technologie- und Innovationsstrategie Mobilität (FTI-Beirat Mobilität) im österreichischen Verkehrs- und Klimaschutzministerium (BMK) einbringen. Ich habe schon jetzt mit Ihr über österreichische Verkehrspolitik und Herausforderungen in der Mobilität gesprochen!


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Katja Diehl

Wie beurteilst Du aktuell die verkehrspolitische Lage in Österreich, was macht man richtig, wo gibt’s Aufholbedarf?

Lieber Niki, das solltest du niemanden aus Deutschland fragen:) Ich schaue immer fast neidisch auf das, was bei Euch geschieht!
Im Gegensatz zu uns habt ihr die Nachtzug-Verbindungen nicht aufgegeben, die heute wichtige Alternative für klimazerstörerische Kurzflüge sind.

Ihr plant mit der Österreich-Card ein Angebot, das ein Jahresabo aller öffentlichen Verkehrsträger nicht nur bezahlbar, sondern auch unkompliziert macht – und auch, wenn man sich politisch durchaus kontrovers mit Österreich beschäftigen kann, so spürt: Hier handelt eine Regierung sehr wertschätzend und proaktiv, um klimagerechte Mobilität zu fördern. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ihr keine namhaften Autobauer in eurem Land aufweisen könnt, bei uns in Deutschland ist das grad ein echter Hemmschuh. Es droht ein gewisser Backlash in Richtung Förderung der Automobilität und Schlechtreden von öffentlichen Verkehren.

Das ist sehr bedrückend für mich, weil die Klimakrise sehr viel größer als die Coronakrise ist. Nur von ihr sind wir noch nicht nah betroffen, wir kennen die Menschen nicht, die heute schon an den Folgen der Klimakatastrophe sterben.
Ich hatte gehofft, dass die Solidarität der ersten Tage bestehen bleibt, aber irgendwie ist gesellschaftlich wie politisch schon wieder der Alltag da.
Mir gefällt euer Zukunft Bahn Zielnetz 2025 – das ist zum Greifen nah!

Und die Ziele, meine Güte, wie sehr ich euch beneide:

  • Rund 30 Prozent mehr Züge und Zugkilometer
  • Mehr Angebote an Bahnverbindungen im Schnellverkehr entlang der Hauptachsen zwischen den Städten entsprechend dem Bedarf
  • Besseres und stabileres Angebot für Pendler rund um Ballungsräume
  • Mehr Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene

Das klingt wie Musik in meinen Ohren:))

Aber auch eure Haltung in der Corona-Zeit ist vorbildlich – dass ihr weiter gefahren seid, das habt ihr gleich mit uns. Wir jedoch streiten uns grad noch, wer eigentlich dafür zuständig ist, dass die Maskenpflicht im Zug durchgesetzt wird. Ich will hier nicht wieder ins Detail gehen, aber ich wünsche mir hier sehr viel mehr Unterstützung für die Bahnen in Deutschland. Denn es sind viele Fahrgäste verunsichert, viele laute Stimmen (die vielleicht noch nicht mal Bahn fahren), kochen die Stimmung hoch – das ist schädlich für das Wiedererstarken der Schiene.

Mir gefällt hingegen die bundesweite Kampagne des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zum „Wiedereinstieg“. Es braucht einfach viel Überzeugungsarbeit, damit wieder Vertrauen in dieses Verkehrsmittel, ohne dass wir die Klimakrise nicht abwenden können.

Daher freut mich bei euch auch der Fokus auf Corona-sensibles Marketing für Tourismus im eigenen Land mit der Bahn. Toll, dass hier Tourismusverbände vorangehen!

Wo siehst Du im österreichischen Verkehrs- und Transportbereich die großen Herausforderungen – wo ist Handlungsbedarf?

Ich glaube, dass die Herausforderungen fast europaweit ähnliche „Metatrends“ aufweisen: Unsere Mobilität war zu lange autozentriert, wir haben Zersiedelung von Flächen in Kauf genommen, weil das Auto diese Entfernungen überwindbar machen. Wir haben den menschlichen Beat ignoriert, der nur sechs Kilometer pro Stunde schafft. Unsere Mobilität hat die Hektik unserer Alltage und vor allem die Strecken, die wir dabei zurücklegen müssen, zumeist ins Unmenschliche geführt. Aber auf diese gesellschaftliche Verantwortung, die Mobilitätswandel auch enthält, einzugehen, würde dein Interview sprengen.

Und auch in den weiteren Details kann ich hier im Interview nur sehr verkürzt eingehen.
Politisch gesehen gab es fatale Fehlentscheidungen, die uns heute, bei der Entwicklung einer klimagerechten Mobilität auf die Füße fallen. Ich kenne die österreichischen Zahlen nicht, aber hier in Deutschland wurden über 6.000 Kilometer Schiene abgebaut. Die Bahnhofsgebäude sind jetzt zum Teil schöne Cafés und Begegnungsorte, die Kraft der Schiene, die hier schon einmal lag, fehlt jedoch mehr als es jeder Mehrwert solcher Orte aufwiegen kann. Denn gerade in der Region, im ländlichen Raum könnten wir jetzt diese Strecken benötigen, um Pendler:innenverkehre nicht mehr über das Auto abbilden zu lassen.

Tägliches Pendeln macht nicht nur krank und belastet die Umwelt, es ist auch in vielen anderen Ländern mittlerweile etwas, das aktiv vermieden wird. Mobiles Arbeiten ist somit ein großer Hebel, um Verkehr und Umweltbelastung gleichermaßen positiv zu beeinflussen. Vor allem durch das Zuhausebleiben während Corona haben wir gemerkt: Dieses mobile Arbeiten funktioniert! Lasst uns das aufrechterhalten! Wenn zehn Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland einen Tag in der Woche von zu Hause arbeiten würden, könnten mehr als 4,5 Milliarden Kilometer an Pendlerstrecke und etwa 850 Millionen Kilogramm CO2 pro Jahr eingespart werden. Wir müssen gesetzlich, aber auch in der Kultur und Organisation von Unternehmen und Teams lokal unabhängiges Arbeiten fördern. Hierfür macht es Sinn, Anbieter von Coworking – auch auf dem Land – finanziell durch besondere Programme zu unterstützen, um Arbeitswegen zwischen ländlichem Raum und Ballungsgebieten zu vermeiden. Nicht Jede:r kann ortsunabhängig arbeiten, aber das Potenzial, das darin für Unternehmen und den Verkehrssektor liegt, ist dennoch gigantisch und damit wichtig für die Verkehrswende.

Strukturen und Mechanismen, die dafür sorgen, dass jährlich Milliardenbeträge in den Straßenbau fließen, müssen beendet werden. Alle Einnahmen aus der deutschen Lkw-Maut – 2018 ca. 5,1 Milliarden Euro – fließen aktuell ohne Ausnahme in den Neu- und Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen. Und das, obwohl wir bereits das dichteste Straßennetz Europas haben. Dieses Geld brauchen wir für den Umbau von Städten und der Schaffung von Alternativen zum Auto, gerade auch auf dem Land. Die eine Hälfte des Geldes könnte in die Instandhaltung fließen, die andere in den Aufbau von Schieneninfrastruktur. Denn damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen Feld: Dem Schienengüterverkehr. Massen an LKW walzen sich jeden Tag durch Deutschland. Neben prekären Beschäftigungsverhältnissen, die wie in vielen Branchen zum großen Teil auf nicht-deutschen Subunternehmern beruhen, bedeutet das auch viel Emission, viel Lärm und vor allem auch Abnutzung von Straße.

2018 wurden nur circa 19 Prozent des Güterverkehrsaufkommens in Deutschland über die Schiene bewegt, aber mehr als 71 Prozent auf der Straße. Der Güterverkehr muss in den nächsten Jahren in deutlich von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Hierfür sollten die Lkw-Maut-Sätze massiv erhöht und damit alle externen Kosten (Lärm und Luftverschmutzung) vollständig angelastet werden. Zudem sollte die Lkw-Maut um eine CO2-Komponente ergänzt werden. Die bisherige Maut-Lücke zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen führt dazu, dass viele Transportunternehmen lieber mehrere Kleintransporter statt eines Lkw auf die Autobahnen schicken und somit die Lkw-Maut umgehen. Dem Staat entgehen so jährlich hunderte Millionen Euro, die Autobahnen sind durch dieses Vorgehen hoch belastet. Daher sollte die Lkw-Maut auf alle Lkw ab 3,5 Tonnen und das Nachtfahrtverbot für Lkw ausgeweitet werden. Diese Maßnahme hat in der Schweiz entscheidend dazu beigetragen, dass der Gütertransport durch das Land 2018 zu 70 % auf der Schiene abgewickelt wurde.

Wo muss man in der Verkehrspolitik jetzt klare Rahmenbedingungen schaffen, um nachhaltig positive Entwicklungen einzuleiten?

Ich denke, meine vorherigen Details kann man recht einfach zusammenfassen: Wir brauchen politischen Mut, uns vom privat besessenen PKW so weit wie möglich zu emanzipieren und Logistik neu zu denken. Die Systeme dafür sind vorhanden, sie müssen aber deutlich finanziell Anschub erfahren. Zudem wird niemand sein Verhalten ändern, wenn dieses nicht transparent mit den Folgekosten belegt wird, die es für das Klima verursacht. Meine Vision ist eine (klima-)gerechte Mobilität. Diese wird sehr viel Diskriminierung aufheben, die bereits heute für Menschen ohne Auto und Führerschein besteht. Zumal Menschen, die wenig verdienen, schon heute sehr viel umweltbewusster mobil sind als das obere Zehntel der Verdienstpyramide. Nicht unbedingt, weil sie so klimabewusst sind, sondern weil die umweltschädlichsten Mobilitätsformen wie Auto und Flugzeug für sie schlicht nicht mehr bezahlbar sind.

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