Die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte informiert über die Neufassung der EU-Verordnung „über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr“ (VO 2021/782). Diese tritt am 7. Juni in Kraft und bringt als eine wesentliche Änderung „außergewöhnliche Umstände“, bei denen das Bahnunternehmen keine Verspätungsentschädigung mehr ausbezahlen muss.
Folgen Sie uns auf Twitter und LinkedIn!
Die Neufassung der Verordnung bringt neben einigen Verbesserungen auch Neuerungen im Bereich der Entschädigung für Verspätungen, die aus Fahrgastsicht Verschlechterungen darstellen. Die Regelungen zu Durchgangsfahrkarten bleiben weiterhin komplex
, so Maria-Theresia Röhsler, Leiterin der apf.
Verbesserungen:
Neben einigen Klarstellungen (z. B. Recht auf Ticketerstattung bzw. auf Hilfeleistung explizit auch bei Zugausfall) beinhaltet die neue EU-Verordnung u.a. folgende Verbesserungen für Fahrgäste:
- Beförderung von Fahrrädern: In neuen und älteren Zügen (nach Umrüstung) sind mindestens vier Fahrradstellplätze pro Zug vorzusehen. National kann diese Zahl erhöht werden;
- Reiseinformationen für den Fahrgast sind nach Möglichkeit in Echtzeit bereitzustellen: Eisenbahnunternehmen müssen anderen Eisenbahnunternehmen Reiseinformationen in Echtzeit zur Verfügung stellen;
- Personen mit Behinderung oder eingeschränkter Mobilität: U. a. wird die Vorabanmeldungsfrist für Hilfeersuchen, beispielsweise für das Ein-, Um- und Aussteigen, auf 24 Stunden reduziert.
Entschädigungen bei Verspätungen – Das ändert sich:
Was gleich bleibt: Erreicht ein Zug einen Bahnhof mit mehr als 60 Minuten Verspätung, steht dem Fahrgast bei einem Einzelfahrschein eine Entschädigung von 25 Prozent des Ticketpreises zu. Bei einer Verspätung ab 120 Minuten erhöht sich diese Entschädigung auf 50 Prozent der Ticketkosten. Auf den Grund für die Verspätung kam es bisher nicht an. Dies ändert sich mit 7. Juni 2023.
Was sich ändert: In der neuen EU-Verordnung werden zahlreiche Ausnahmegründe aufgezählt, bei denen die Verpflichtung zur Entschädigung entfällt. Das Eisenbahnunternehmen muss jedoch nachweisen, dass die jeweils erlittene Verspätung, der Zugausfall und der verpasste Anschluss eine direkte Folge eines der folgenden Szenarien war und das Bahnunternehmen die Folgen trotz gebotener Vorsicht nicht vermeiden konnte:
- extreme Witterungsbedingungen
- große Naturkatastrophen
- schwere Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit
- Verschulden des Fahrgasts
- Personen auf dem Gleiskörper
- Kabeldiebstahl
- Notfälle im Zug
- Strafverfolgungsmaßnahmen
- Sabotage oder Terrorismus
Da die EU-Verordnung keine genaueren Definitionen vornimmt, könnten unterschiedliche Auslegungen künftig noch zu Diskussionen führen.
„Die apf verfügt aus dem Flugbereich über langjährige Erfahrung mit außergewöhnlichen Umständen. Wir befürchten, dass die Bahnunternehmen die neuen Szenarien eher eng auslegen werden und somit zukünftig in vielen Fällen die Entschädigung für Verspätungen verweigern
“, so Maria-Theresia Röhsler, Leiterin der apf.
Thema Streik: Die EU-Verordnung erwähnt explizit, dass Streiks des Bahnunternehmens KEINEN außergewöhnlichen Umstand darstellen. Bei einem Streik steht dem Fahrgast daher weiterhin eine Entschädigung für Verspätungen zu.
Betreuungspflichten des Bahnunternehmens und das Recht des Fahrgasts auf alternative Beförderung sowie ggf. Übernachtung bestehen weiterhin
Die außergewöhnlichen Umstände beziehen sich ausschließlich auf Forderungen nach Entschädigungen für Verspätungen. Davon unberührt bleiben Verpflichtungen der Bahnunternehmen bei Verspätungen und Zugannullierungen hinsichtlich zu erbringender Betreuungsleistungen, etwa die Nutzung einer alternativen Beförderung durch den Fahrgast, seine/ihre Übernachtung in einem Hotel sowie die Versorgung mit Getränken und Mahlzeiten.
Unterkunft:
Die Neuerung bei der Übernachtung ist die zukünftig zulässige Einschränkung auf drei Übernachtungen in Fällen der außergewöhnlichen Umstände. Diese Beschränkung war bisher nicht zulässig.
Alternative Beförderung:
Weiterhin muss das Bahnunternehmen bei absehbaren Verspätungen von mehr als einer Stunde die Wahl zwischen einer Fahrpreiserstattung, alternativer Beförderung und Weiterfahrt zu einem späteren Zeitpunkt anbieten (Artikel 18).
Die Neuerungen bei der alternativen Beförderung im Detail:
Die EU-Verordnung definiert, dass bei einer alternativen Beförderung bzw. Weiterfahrt zu einem späteren Zeitpunkt einerseits dem Fahrgast keine zusätzlichen Kosten entstehen dürfen, auch bei Benützung einer höheren Klasse. Andererseits soll zusätzliches Umsteigen vermieden werden und die Gesamtreisezeit möglichst kurz bleiben.
Das Bahnunternehmen hat dabei ggf. auch auf ein Transportmittel eines anderen Anbieters umzubuchen, wenn die Leistung nicht selbst erbracht werden kann.
Reisende haben künftig auch dezidiert das Recht, sich die Weiterreise selbst zu organisieren und erhalten die Kosten vom Bahnunternehmen rückerstattet. Voraussetzungen dafür ist die Zustimmung des Bahnunternehmens zur Umbuchung. Dem Fahrgast steht die Nutzung anderer „öffentlicher Verkehrsdienste“ (Bus-; Bahn) auch dann offen, wenn das Bahnunternehmen nicht binnen 100 Minuten nach der planmäßigen Abfahrtzeit/dem verpassten Anschluss/dem ausgefallenen Zug eine alternative Reisemöglichkeit anbietet.
Bei der alternativen Beförderung ist explizit von Bus- und Bahnleistungen die Rede, die Nutzung eines Flugzeuges wird nicht ausdrücklich erwähnt, was bei langen Reisen aber die beste Lösung darstellen kann.
Durchgangsfahrkarte – weiterhin komplexe Regelungen
Ein großes Manko der EU-Verordnung bleibt auch in der Neufassung weiterhin das wichtige Thema Durchgangsfahrkarte. Durchgangsfahrkarten sind für aufeinanderfolgende durch ein oder mehrere Eisenbahnunternehmen erbrachte Eisenbahnverkehrsdienste (z. B. Fahrt von Wien nach Salzburg mit der ÖBB, Salzburg nach Innsbruck mit der WESTbahn). Sie sind für die Geltendmachung der Fahrgastrechte, insbesondere für die Erstattung bzw. Verspätungsentschädigung, wichtig.
Auch bei der bisherigen EU-Verordnung war dieses Thema rechtlich umstritten. Die neue EU-Verordnung bringt punktuell Verbesserungen, etwa müssen Bahnunternehmen Durchgangsfahrkarten anbieten, sofern die Züge von einem einzigen Unternehmen bzw. von hundertprozentigen Tochtergesellschaften betrieben werden. Es gibt auch spezielle Entschädigungsregelungen, wenn die Tickets von einem Fahrkartenverkäufer zu einer Reise miteinander kombiniert werden.
Allerdings sind alle diese Regelungen in der neuen EU-Verordnung komplex. Eine der zahlreichen und wichtigsten Ausnahmen ist die Information durch die Unternehmen vor dem Kauf darüber, dass die Fahrkarten keine Durchgangsfahrkarte, sondern getrennte Beförderungsverträge darstellen und deswegen die Fahrgastrechte nicht gelten.
Leider fehlt eine einfache Regelung bei der gerade für grenzüberschreitende Fahrten so wichtigen Thematik Durchgangsfahrkarte, welche zugunsten der Fahrgäste Klarheit schafft
, so Maria-Theresia Röhsler, Leiterin der apf.