Der deutsche Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) e.V. zieht eine ambivalente Bilanz für das erste Halbjahr 2022: Der Umsatz liegt mit 6,8 Milliarden Euro rund 1,5 Prozent über dem Vorhalbjahreswert. Das Inlandsgeschäft steigt um 24 Prozent. Auch im Auftragseingang verzeichnet die Bahnindustrie im ersten Halbjahr 2022 mit 9 Milliarden Euro ein Plus von rund 29 Prozent, insbesondere durch das wachsende Auftragsvolumen im Inland.
Dennoch warnt man vor drohenden Auswirkungen der Inflation und steigenden Energiepreisen sowie vor der Verschiebung von Schienenprojekten.
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„Insgesamt starke Zahlen für die weltwirtschaftliche Lage der letzten Jahre. Das ist allerdings maßgeblich auf Großprojekte im Fahrzeugbereich zurückzuführen. Grundsätzlich geht es immer noch viel zu langsam voran mit der Verkehrswende, wie man am Infrastrukturgeschäft deutlich erkennen kann“, sagte VDB-Präsident Andre Rodenbeck.
Der Auslandsumsatz sinkt im ersten Halbjahr 2022 um 35 Prozent auf 1,7 Milliarden Euro. Auch der Auftragseingang außerhalb Deutschlands geht um 7 Prozent zurück. Die Regression im Export sei auf die andauernde Lieferkettenkrise und verschobene oder gestreckte öffentliche Aufträge zurückzuführen. Perspektivisch gerate die Ertragslage aufgrund steigender Energiekosten, der Inflation sowie belasteter Lieferketten weiter unter Druck. Die Auswirkungen der Krisen der letzten Jahre kämen laut Rodenbeck sichtbar in der Bahnindustrie an.
Mehrkostenteilung und Energiepreisbremse: „Inflation darf nicht nur das Problem der Hersteller und Auftragnehmer bleiben“
„Wir müssen angesichts der aktuellen Lage damit rechnen, dass uns bei vollen Auftragsbüchern Ende des Jahres trotzdem betriebswirtschaftlich ernste Situationen drohen“, warnt Rodenbeck.
Die Bahnbranche arbeitet überwiegend mit langlaufenden Liefer- und Rahmenverträgen zu festen Preisen. Es besteht für die Bahnindustrie somit kaum eine Möglichkeit, die aufgrund der derzeitigen Lage massiv gestiegenen Kosten von Materialien und Komponenten fair weiterzugeben. Der VDB fordert deshalb das Aussetzen der Preisbasis von Bestandsverträgen und Überführung der Einzelprojekte auf die Preisbasis aktueller Verträge sowie die Vereinbarung von Preisgleitklauseln und Regelungen zu höherer Gewalt in Neuverträgen.
Beschaffungsstellen müssten in die Lage versetzt werden, die aktuelle Situation finanziell zu kompensieren. Sonst werde es schnell zu Verschiebungen oder Reduzierung von Schienenaufträgen kommen. „Die Beschaffung neuer Schienenfahrzeuge jetzt zu verschieben, ist für die Energieeffizienz, den Klimaschutz und nicht zuletzt für den Fahrgast absolut kontraproduktiv“, erklärte Rodenbeck. Auch bei den steigenden Energiekosten sei dringender Handlungsbedarf. Die Bahnindustrie brauche schnelle und praxisnahe Unterstützung des Bundes in Form eines Energiepreisdeckels und eines Rettungsschirms für Unternehmen in unverschuldet existenzbedrohenden Situationen. Das sei auch mit Blick auf den globalen Wettbewerb nicht unerheblich.
Investitionen müssen schneller im Markt ankommen
Auch vom Bund bereitgestellte Mittel für die Modernisierung und den Ausbau des Schienennetzes müssten dynamisch ansteigen, aber auch deutlich schneller abfließen. Investitionen kommen nicht schnell genug im Markt an. „Um die Klimaneutralität bis 2040 und die durchgängige betriebliche Verfügbarkeit auf der Schiene zu gewährleisten, müssen ab 2023 im Durchschnitt bis zu 950 Streckenkilometer pro Jahr ersetzt, angepasst oder neugebaut werden. Also nahezu eine Verdopplung der bisherigen Leistung“, sagte VDB-Geschäftsführer Axel Schuppe.
Auch bei der Digitalisierung der Schiene müsse das Tempo deutlich zunehmen. „Wenn wir das heutige behäbige Tempo beibehalten, erreichen wir gemessen an den Infrastruktur-Investitionen die vollständige Digitalisierung nicht vor 2077. Etwa 42 Jahre zu spät“, so Schuppe.
„Das Neun-Euro-Ticket hat gezeigt, dass die Nachfrage nach moderner Schienenmobilität da ist. Diese Nachfrage gilt es jetzt auch zu bedienen. Die Politik muss jetzt die Rahmenbedingungen für beste Angebote schaffen“, sagte Rodenbeck.