Erholung des europäischen Schienenverkehrsmarktes im zweiten Jahr der COVID-Pandemie

Apr 11, 2023 | Innovation, Personenverkehr

Die enge Zusammenarbeit der europäischen Regulierungsbehörden im Eisenbahnbereich war eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die im zweiten Pandemiejahr getroffenen Hilfsmaßnahmen und die Entwicklungen im europäischen Schienenverkehrsmarkt insgesamt darstellen zu können. Der internationale Vergleich, den der Marktbericht von IRG-Rail liefert, hilft bei der Einordnung der Maßnahmen in Österreich, so Maria-Theresia Röhsler, Geschäftsführerin der Schienen-Control, anlässlich der Veröffentlichung des 11. Marktberichts der Independent Regulators‘ Group-Rail (IRG-Rail).

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Der jährlich erscheinende Bericht bietet einen umfassenden Überblick über die Entwicklungen sowie die wirtschaftlichen (Rahmen-)Bedingungen im europäischen Eisenbahnsektor. Er ermöglicht die kontinuierliche Beobachtung des europäischen Eisenbahnmarktes und liefert zudem Hinweise auf dessen Wettbewerbsfähigkeit. Neben der regelmäßigen Darstellung der Entwicklung wichtiger Indikatoren des europäischen Schienenverkehrs aus den Bereichen Eisenbahninfrastruktur, Infrastruktur-Benützungsentgelte, Marktteilnehmer sowie Güter- und Personenverkehrsmärkte enthält der Bericht detaillierte Analysen der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Bahnsektor. Einerseits waren 2021 noch immer beinahe alle Leistungsindikatoren unter dem Vorkrisenniveau von 2019, andererseits zeigt der Bericht gut deren schrittweise Erholung seit 2020 auf.

Österreich als Bahnland Nummer Eins der EU abgelöst

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat 2020 insbesondere den Personenverkehr hart getroffen. Zwar fuhren in Europa aus Gründen der Mobilitätssicherung weiterhin viele Züge, allerdings wurden diese wegen der Lockdowns bzw. Reisebeschränkungen wesentlich geringer frequentiert. Die Verkehrsleistung, gemessen als Zugkilometer pro Fahrgast, lag 2021 um 41 Prozent unter jener von 2019Gegenüber dem Jahr 2020 konnte dieser Wert allerdings bereits deutlich zulegen (plus 15 Prozent). Vor allem der (oft internationale) Fernverkehr hat 2021 sowohl bei den Zugkilometern (Angebot) als auch bei den Personenkilometern (Nachfrage) wieder Fahrt aufgenommen. Erfreulicherweise hat demgemäß jede 2021 in Österreich lebende Person im Schnitt mehr als 100 zusätzliche Bahnkilometer zurückgelegt (950 in Summe). Zudem deutet derzeit vieles darauf hin, dass sich dieser Anstieg 2022 wiederholen wird und 2020 damit eine Ausnahmeerscheinung bleibt. Nachdem jedoch in Frankreich jede Einwohnerin und jeder Einwohner durchschnittlich über 200 zusätzliche Bahnkilometer gefahren ist (insgesamt 1.040), wurde Österreich zwischenzeitlich in der Statistik der eifrigsten EU-Bahnfahrländer von Platz Eins verdrängt. Hinter Frankreich und Österreich folgen in dieser Wertung mit großem Abstand Schweden und Dänemark (768 bzw. 722 Kilometer pro Person).

Entwicklung des europäischen Schienengüterverkehrsmarktes

Die Auswirkungen der Pandemie machten sich auch am Schienengüterverkehrsmarkt direkt bemerkbar, wenngleich nicht so markant wie im Personenverkehr. Ungeachtet des spürbaren wirtschaftlichen Abschwungs und der pandemiebedingt unterbrochenen Lieferketten war der innereuropäische Schienengüterverkehr weitestgehend intakt. 2021 konnte er sogar trotz leicht geringerem Zugkilometerniveau bereits die Nettotonnenkilometer aus dem Jahr 2019 geringfügig übertreffen. Das ist überwiegend auf den internationalen Güterverkehr zurückzuführen, der im europäischen Durchschnitt wieder Zuwächse verzeichnen konnte. 2021 wurden im europäischen Schienengüterverkehr rund 466 Milliarden Nettotonnenkilometer erbracht. Gegenüber 2019 bedeutet das eine Steigerung von rund einem Prozent, im Vergleich zu 2020 sogar zusätzliche acht Prozent. Unverändert hielt Deutschland mit 139,3 Milliarden Nettotonnenkilometern den größten Anteil am Gesamtvolumen, gefolgt von Polen mit 56 Milliarden und Frankreich mit 35,7 Milliarden. Hinter Italien (27,3 Milliarden) hat Österreich mit 23,5 Milliarden Nettotonnenkilometern Schweden (23,4 Milliarden) verdrängt und damit europaweit betrachtet den beachtlichen fünften Platz eingenommen. Die drei erstgenannten Länder waren 2021 in Summe für die Hälfte der gesamten europäischen Schienengüterverkehrsleistung verantwortlich.

Entwicklung der Marktanteile

Die Gesamtbetrachtung von Europas Schienengüterverkehr zeigt den kontinuierlichen Marktanteilsverlust der jeweiligen heimischen „Incumbents“, d.h. der (ehemaligen) Staatsbahnunternehmen. Sie erbrachten mit 49 Prozent erstmalig weniger als die Hälfte der gesamteuropäischen Verkehrsleistung. Während die Gruppe der ausländischen „Incumbents“ seit Jahren stabile Anteile verzeichnet (etwa 15 Prozent), wachsen die Anteile der Gruppe der Privatgüterbahnen stetig an und lagen 2021 bei 36 Prozent. Zwar ist der Trend in Österreich im Wesentlichen gleich, allerdings hielt der heimische Incumbent, Rail Cargo Austria, trotz leichten Verlusten immer noch einen überdurchschnittlich hohen Marktanteil von 63 Prozent aller Nettotonnenkilometer. Die Privatgüterbahnen kamen 2021 in Österreich auf 29 Prozent, die ausländischen Incumbents auf acht Prozent.

Allgemein ist die Liberalisierung des europäischen Schienengüterverkehrsmarktes in manchen Ländern bereits sehr weit fortgeschritten, während in anderen Ländern de facto immer noch Monopolstellungen der Incumbents vorherrschen. Neben den steigenden Marktanteilen der Privatgüterbahnen lässt sich das auch an der stetig steigenden Anzahl der im Güterverkehr aktiven Eisenbahnunternehmen ablesen. In etwa zwei Drittel der IRG-Rail Mitgliedstaaten übersteigt die Zahl der im Güterverkehr aktiven Eisenbahnverkehrsunternehmen jene im Personenverkehr um ein Vielfaches.

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie: Staatliche Gegenmaßnahmen

Im Einklang mit einer von der Europäischen Union 2020 erlassenen (und mehrmals verlängerten) Verordnung zum Schutz des Eisenbahnsektors vor den Auswirkungen der Pandemie wurden in etlichen Ländern Hilfsmaßnahmen für die Branche ergriffen. Diese umfassen unter anderem die Anpassung (Ermäßigung, Erlass bzw. Stundung) der Infrastruktur-Benützungsentgelte, wobei dem Infrastrukturbetreiber die Einnahmenausfälle in weiterer Folge vom Staat ersetzt werden. Eine weitere Maßnahme mancher Staaten war beispielsweise die Bestellung von Verkehren durch die öffentliche Hand.

In Österreich wurden nach 2020 auch 2021 zum einen die Infrastruktur-Benützungsentgelte für einzelne Marktsegmente rückwirkend ausgesetzt, zum anderen wurden ursprünglich eigenwirtschaftliche Fernverkehre der ÖBB-Personenverkehr und der WESTbahn auf der Hauptfernverkehrsstrecke zwischen Wien und Salzburg mithilfe öffentlicher Mittel bestellt.

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