Ende November hat Christian Diewald die Rolle des Präsidenten des Verbands der Bahnindustrie (VBI) von Hannes Boyer übernommen. Im Gespräch mit Eisenbahn.blog-Chefredakteur Niki Schmölz geben beide spannende Einblicke in die aktuellen Entwicklungen und Perspektiven der Branche. Sie sprechen über zentrale Erfolge der letzten Jahre, wie den Austrian Rail Report, und über die Herausforderungen durch Fachkräftemangel und internationalen Wettbewerb.
Eisenbahn.Blog: Welche wesentlichen Entwicklungen und Meilensteine hat der Verband in den letzten Jahren erreicht?
Hannes Boyer: Die letzten Jahre waren für unseren Verband und unsere Mitglieder besonders intensiv und geprägt von wichtigen Fortschritten. Ein wesentlicher Meilenstein war die Veröffentlichung des Austrian Rail Report. Dieser umfassende Bericht zeigt eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit unserer Branche und hat die Sichtbarkeit der österreichischen Bahnindustrie auf ein neues Niveau gehoben.
Ein zweiter großer Erfolg war unsere sehr erfolgreiche Lobbyingarbeit, mit der wir uns gezielt für eine stärkere Berücksichtigung heimischer und europäischer Unternehmen bei öffentlichen Aufträgen eingesetzt haben. Das Ziel war klar: öffentliche Aufträge sollen nachhaltiger beschafft werden, das geht unter anderem durch verpflichtende europäische Wertschöpfungsaspekte. Die Reziprozität bei der Erfüllung dieser Aspekte ist entscheiden für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Österreich und Europa.
Zudem konnten wir die internationale Position der österreichischen Bahnindustrie deutlich ausbauen. Das ist besonders wichtig, da unsere Branche in einem globalen Markt agiert, der von starkem Wettbewerb geprägt ist.
Ein weiterer Schwerpunkt war unser Engagement in Nachhaltigkeitsfragen. Wir als Bahnindustrie spielen eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung des Verkehrssektors und tragen aktiv dazu bei, die Klimaziele zu erreichen. Nachhaltigkeit ist längst nicht mehr nur ein Ziel, sondern eine zentrale Grundlage unseres Handelns. Österreich bzw. Europa produziert unter höchsten Umwelt & Sicherheitsstandards. Auch diese preisfremden Kriterien sollten langfristig stärker berücksichtigt werden.
Eisenbahn.Blog: Welchen Mehrwert bietet der Verband den Unternehmen der Bahnindustrie?
Christian Diewald: Unser Verband versteht sich als Sprachrohr der gesamten Bahnindustrie – und das in ihrer gesamten Vielfalt. Unsere Mitglieder reichen von großen Industrieunternehmen bis hin zu mittelständischen Hidden Champions und kleinen, hochspezialisierten Betrieben. Gerade für kleinere Unternehmen bietet unsere Arbeit einen besonderen Mehrwert, denn sie verfügen oft nur über begrenzte Ressourcen für Marketing, Lobbying oder die Wahrnehmung ihrer Interessen. Hier setzen wir gezielt an, um sie zu unterstützen.
Ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit ist die Vernetzung der Mitglieder untereinander. Wir schaffen eine Plattform, die es vor allem kleineren Unternehmen ermöglicht, sichtbarer zu werden, und geben ihnen eine starke Stimme innerhalb der Branche. Das stärkt nicht nur die einzelnen Betriebe, sondern auch die Bahnindustrie als Ganzes.
Darüber hinaus setzen wir uns konsequent für eine stärkere lokale Wertschöpfung ein. Wir fordern, dass bei öffentlichen Ausschreibungen in Europa eine Mindestquote von 50 % an lokaler Wertschöpfung berücksichtigt wird. Wer in Österreich oder Europa Aufträge erhalten will, sollte auch einen wesentlichen Teil der Wertschöpfung hier erbringen. Das ist bei Ausschreibungen weltweit gang und gäbe.
Ein weiteres Anliegen ist der faire Wettbewerb. Aktuell kämpfen europäische Unternehmen häufig gegen Konkurrenten, die durch milliardenschwere staatliche
Subventionen bevorteilt werden. Das ist kein fairer Wettbewerb – vor allem für kleinere Betriebe, die in solchen Fällen kaum eine Chance haben. Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass auf dem globalen Markt alle mit gleich langen Lanzen antreten können und wollen Reziprozität.
Kurz gesagt: Der Verband bietet seinen Mitgliedern nicht nur eine starke Interessenvertretung, sondern auch die Möglichkeit, sich zu vernetzen und gemeinsam an einer stärkeren Zukunft für die Bahnindustrie zu arbeiten.
Hannes Boyer: Ein wesentlicher Mehrwert unseres Verbands liegt in der Förderung von Innovationen. Gemeinsam mit unserem Mutterverband UNIFE initiieren und begleiten wir verschiedene Innovationsprogramme wie etwa Rail4Climate, die unseren Mitgliedern helfen, technologisch an der Spitze zu bleiben.
Darüber hinaus unterstützen wir unsere Mitglieder beim Zugang zu internationalen Exportmärkten. In einer global vernetzten Industrie ist die Erschließung neuer Märkte entscheidend. Wir organisieren Reisen, Delegationsbesuche und Initiativen, bei denen sich unsere Mitglieder anschließen und ihre Chancen auf internationalen Märkten steigern können.
Eisenbahn.Blog: Wie sehen für die Bahnindustrie im Bereich Fachkräftemangel und Personalpolitik die konkreten Herausforderungen aus und gibt es Prognosen für die kommenden Jahre?
Hannes Boyer: Der Fachkräftemangel ist eine der drängendsten Herausforderungen für die Bahnindustrie und steht seit Jahren ganz oben auf der Agenda. Besonders bemerkenswert ist, dass unsere Branche weniger stark von wirtschaftlichen Abschwüngen betroffen ist – das heißt, der Bedarf an qualifizierten Fachkräften bleibt konstant hoch, unabhängig von konjunkturellen Schwankungen.
Aktuell gibt es in der österreichischen Bahnbranche laut einer Blitzumfrage etwa 1.100 offene Stellen, vor allem in technischen Berufen und in Ingenieur-Positionen.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, müssen wir konkrete Maßnahmen ergreifen. Es ist beispielsweise untragbar, dass es an einer führenden Einrichtung wie der TU Wien keine Professur für Schienenfahrzeugtechnik und Eisenbahnwesen gibt. Solche Lücken müssen dringend geschlossen werden, um sicherzustellen, dass junge Menschen frühzeitig die Möglichkeit haben, sich in spezialisierten Bereichen auszubilden.
Zudem müssen wir verstärkt Frauen für die Bahnindustrie gewinnen. Kooperationen wie jene mit der Agenda Bahnindustrie Frauen spielen hier eine wichtige Rolle. Es geht darum, gezielt Frauen für technische Berufe zu motivieren und zu fördern, denn 13,7% Frauenanteil sind deutlich zu wenig, um die Mobilitäts- und Klimawende gemeinsam zu meistern.
Ein weiterer Baustein ist die Ansprache der jungen Generation. Hier setzen wir auf unsere neue Social-Media-Kampagne, die Berufsbilder und Karriereoptionen in der Bahnindustrie vorstellt. Das Feedback dazu ist bisher ausgezeichnet. Solche Initiativen sind essenziell, um das Interesse junger Menschen zu wecken und ihnen zu zeigen, dass die Bahnindustrie nicht nur zukunftssicher, sondern auch spannend und vielseitig ist.
Die Prognose für die kommenden Jahre zeigt, dass der Bedarf an Fachkräften weiterhin hoch bleiben wird. Deshalb müssen wir gemeinsam daran arbeiten, die Attraktivität unserer Branche zu steigern und sicherzustellen, dass die nötigen Ressourcen – von Bildungsangeboten bis hin zu gezielten Förderprogrammen – bereitgestellt werden.
Eisenbahn.Blog: Welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie für die Branche?
Hannes Boyer: Eine der größten Herausforderungen für die Bahnindustrie wird in den kommenden Jahren sicherlich die Erreichung der Klimaziele sein. Wir müssen unseren Beitrag leisten, um die Dekarbonisierung im Verkehrssektor voranzutreiben, und das erfordert erhebliche Anstrengungen. Ein Beispiel wäre die Dekarbonisierung von nicht elektrifizierten Nebenstrecken, bei denen wir mit der Umstellung auf nachhaltigere Antriebstechnologien (z.B. Batterie und Wasserstoff) eine entscheidende Rolle spielen müssen.
Christian Diewald: Ein wichtiger Punkt, der die Zukunft der Bahnindustrie stark beeinflussen wird, ist der zunehmende globale Wettbewerbsdruck. Der Export hat für die österreichische Bahnindustrie eine enorme Bedeutung. Mit einer Exportleistung von 1,8 Milliarden Euro sind wir in absoluten Zahlen die Nummer 4 weltweit, gleich nach den wirtschaftlichen Schwergewichten Deutschland, China und den USA. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir diese Märkte auch weiterhin zuverlässig beliefern können. Es gilt, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und innovative Lösungen anzubieten, die den internationalen Standards gerecht werden.
Ein weiterer wichtiger Schritt für die Branche ist die Weiterentwicklung in Richtung Automatisierung und Digitalisierung. Wir müssen uns die Frage stellen: Welche Leistungen können wir künftig durch Technik abdecken oder vereinfachen? Ein konkretes Beispiel ist die Frage, ob wir in Zukunft noch Mitarbeiter:innen benötigen, die Züge abstellen, oder ob diese Aufgabe von den Zügen selbst übernommen werden kann. Solche Entwicklungen machen das Gesamtsystem Bahn nicht nur effizienter, sondern auch attraktiver und leistungsfähiger.
Innovation wird ein entscheidender Faktor bleiben. In Österreich wird pro Kopf so viel in Forschung und Entwicklung investiert wie in keinem anderen Land. Wir sind echte „Patentweltmeister“, was uns einen hervorragenden Nährboden für ein erfolgreiches Exportgeschäft bietet. Es ist daher schwer nachvollziehbar, warum es an einer renommierten Institution wie der TU Wien keine Professur für Schienenfahrzeugtechnik gibt. Solche akademischen Lücken müssen unbedingt geschlossen werden, um die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Branche weiter zu fördern.
Wir setzen uns daher intensiv dafür ein, dass die kommende Bundesregierung die entsprechenden Mittel bereitstellt, damit die dringend benötigten Fachkräfte für die Mobilitäts- und Klimawende mithilfe der Professur ausgebildet werden können.
Insgesamt stehen wir vor einer spannenden Zukunft, in der wir durch technologische Fortschritte, einem verstärkten Fokus auf Innovation und einer weiterhin starken Exportorientierung unseren Platz an der Spitze der internationalen Bahnindustrie behaupten können.
Eisenbahn.Blog: Wie schätzen Sie den ungleichen Wettbewerb mit China ein?
Christian Diewald: Dieses Thema ist durchaus emotionsgeladen, aber ich möchte es auf klare Fakten herunterbrechen. In den letzten fünf Jahren hat China Milliarden an Subventionen an seine Industrie, einschließlich der Bahnindustrie, vergeben. Das Ziel ist ganz klar: China möchte auf dem europäischen Markt präsenter werden und seine Produkte zu günstigeren Preisen anbieten. Diese Subventionen führen zu einer massiven Verzerrung des Wettbewerbs. Gerade im liberalisierten Markt, in dem private Betreiber oft nicht an Ausschreibungen gebunden sind, ergibt sich hier ein Einfallstor für chinesische Anbieter, weil diese oft günstiger sind.
In dieser Situation müssen wir unsere heimische Bahnindustrie und die damit verbundenen Arbeitsplätze schützen: Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Modernisierung des Vergaberechts. Wir fordern, dass mindestens 30 % der Kriterien in Ausschreibungen nicht nur auf dem Preis, sondern auch auf Qualität und Nachhaltigkeit basieren. Diese Kriterien müssen jedoch auch nachvollziehbar sein.
Es kann auch nicht sein, dass Produkte in Europa eingekauft, nach China verschifft und dann als fertiges Fahrzeug zurück nach Europa geliefert werden – das hat nicht nur wirtschaftlich wenig Sinn, sondern ist auch im Hinblick auf die CO2-Diskussion problematisch.
Es muss klare Regeln geben, wie die Wertschöpfung überprüft wird. Wir müssen sicherstellen, dass Unternehmen, die sich nicht an diese Prinzipien halten, aus dem Wettbewerb ausgeschlossen werden. Ein Hersteller könnte sonst versucht sein, die Pönalen in Kauf zu nehmen, weil er staatlich subventioniert wird.
Insgesamt ist es entscheidend, dass wir eine gerechte und transparente Vergabepraxis etablieren und damit sicherstellen, dass europäische Unternehmen, die in Qualität und Nachhaltigkeit investieren, nicht benachteiligt werden.
Eisenbahn.Blog: Welche Lage hat die Bahnindustrie aktuell in wirtschaftlich volatilen Zeiten, und wie kann sie als Wachstumsmotor für andere Branchen fungieren?
Hannes Boyer: Die Bahnindustrie hat derzeit stabile wirtschaftliche Finanzierungsvoraussetzungen. Das bedeutet, dass wir in der Lage sind, langfristig zu planen und notwendige Investitionen zu tätigen. Besonders in Österreich nimmt die Bedeutung der Bahnindustrie als wirtschaftlicher Sektor zunehmend zu. Die heimischen Investitionen in den Verkehrsträger Schiene stabilisieren uns zusätzlich und stärken unsere Position.
Ein wesentlicher Wachstumsmotor für andere Branchen ist die Forschung und Entwicklung, in der die Bahnindustrie sehr aktiv ist. Unsere Innovationskraft und die kontinuierliche Beschäftigung mit digitalen Themen setzen wichtige Impulse für viele andere Wirtschaftssektoren. Schienenfahrzeuge sind zum Beispiel heute weit mehr als nur Heavy Metal – wir haben längst das Zeitalter der Digitalisierung betreten – und zwar in allen Bereichen. Durch die Entwicklung neuer Technologien, effizienter Systeme und nachhaltiger Lösungen können wir nicht nur die Bahnindustrie weiter vorantreiben, sondern auch als Katalysator und Wachstumsmotor für Innovationen in anderen Bereichen wirken.
Die Bahnindustrie ist ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette und hat das Potenzial, als Wachstumsmotor für viele andere Industrien zu fungieren, sei es durch die Bereitstellung innovativer Lösungen im Transportsektor oder durch die Förderung der Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der gesamten Wirtschaft.
Eisenbahn.Blog: Wo sind die starken Wachstums- und Exportmärkte der österreichischen Bahnindustrie – welche Märkte werden wichtiger?
Christian Diewald: Deutschland bleibt für die österreichische Bahnindustrie nach wie vor mit über 40 % einer der wichtigsten Märkte. Wir sind sehr gut aufgestellt und beobachten mit großem Interesse, welche Investitionen in den kommenden Jahren in Deutschland getätigt werden, um die Infrastruktur weiter voranzubringen. Dies bietet für uns eine stabile und langfristige Grundlage, da die Modernisierung und der Ausbau der Schieneninfrastruktur in Deutschland von großer Bedeutung sind.
Weltweit sind wir ebenfalls stark gefragt, egal ob Straßenbahnen für Australien oder U-Bahn-Systeme für London. Zahlreiche internationale Projekte unterstreichen das hohe Vertrauen in die Qualität und Leistungsfähigkeit der österreichischen Bahnindustrie.
Der Fokus bleibt dabei weiterhin auf Europa, wobei wir auch eine verstärkte Expansion in Richtung Asien und Nordamerika anstreben. Diese Märkte bieten großes Potenzial, insbesondere im Bereich nachhaltiger Verkehrslösungen und urbaner Infrastruktur.
Ein weiteres vielversprechendes Gebiet ist der Wiederaufbau der Eisenbahninfrastruktur in der Ukraine. Hier erwarten wir eine spannende langfristige Perspektive für die Bahnindustrie, da die Ukraine in den kommenden Jahren große Anstrengungen unternehmen wird, um ihre Schieneninfrastruktur wiederaufzubauen und zu modernisieren.