Reaktivierungsstau auf der Schiene: Verbände fordern schnellere Umsetzung und mehr Mittel

Okt. 14, 2024 | Infrastruktur

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Allianz pro Schiene kritisieren den langsamen Fortschritt bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken in Deutschland. Trotz zahlreicher vielversprechender Streckenpläne werden nur wenige Projekte umgesetzt. In den letzten zwei Jahren wurden lediglich 21 Kilometer Schienenstrecke wiederbelebt. Beide Verbände drängen nun auf eine Beschleunigung der Planungsverfahren und eine Aufstockung der Fördermittel.

Zahlreiche Strecken warten auf Wiederbelebung

Die beiden Organisationen legen alle zwei Jahre aktualisierte Vorschläge zur Reaktivierung von Bahnstrecken vor. Auf der aktuellen Liste befinden sich 74 neue Strecken mit einer Gesamtlänge von 949 Kilometern. Laut Martin Henke, Reaktivierungsfachmann des VDV, warten in Deutschland mittlerweile 325 Strecken mit insgesamt 5.426 Kilometern auf ihre Wiederinbetriebnahme. „Die Reaktivierung dieser Strecken könnte insbesondere die regionale Wirtschaft stärken“, erklärt Henke.

379 Städte ohne Bahnanschluss

Ein zentrales Problem ist die fehlende Anbindung von 379 Städten und Gemeinden an den Schienenverkehr. Diese Kommunen, in denen insgesamt über 3,8 Millionen Menschen leben – vergleichbar mit der Einwohnerzahl von Berlin –, könnten von einer Reaktivierung der Schienenwege profitieren. Bis Ende 2024 werden jedoch voraussichtlich nur 30 Kilometer Strecke reaktiviert, was laut Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, viel zu wenig ist: „Das Schneckentempo bei der Umsetzung muss gestoppt werden. Die Menschen wollen eine Schienenanbindung, auch der Güterverkehr hat enormes Potenzial.“

Von den 900 Mittelzentren in Deutschland sind derzeit 123 ohne Anbindung an Bahn, U-Bahn, Stadtbahn oder Straßenbahn. In 72 dieser Städte gibt es bestehende, aber nicht genutzte Schienentrassen, deren Wiederinbetriebnahme von den Verbänden empfohlen wird. Allein hier leben mehr als 1,4 Millionen Menschen.

Positive Machbarkeitsstudien, langsame Planungen

Bemerkenswert ist, dass mehr als 75 Prozent der durchgeführten Machbarkeitsstudien zu einem positiven Ergebnis kommen, wie Dirk Flege betont. Das zeige, dass die Reaktivierung der Strecken in vielen Fällen als sinnvoll erachtet wird. Doch trotz dieses Engagements vor Ort werde der Prozess durch bürokratische Hürden verlangsamt. „Die Planungsprozesse müssen dringend beschleunigt werden“, fordert Flege.

Förderung und finanzielle Hebelwirkung

Ein weiterer wichtiger Hebel zur Beschleunigung von Reaktivierungen ist das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), das im Jahr 2020 novelliert wurde. Durch die finanzielle Aufstockung konnten mehr Infrastrukturprojekte zur Förderung angemeldet werden als je zuvor. Martin Henke vom VDV erklärt, dass inzwischen 407 Projekte in den Bereichen Grunderneuerung, Reaktivierung, Elektrifizierung und Bahnhöfe im GVFG angemeldet sind. „Eine Erhöhung der jährlichen GVFG-Fördermittel auf drei Milliarden Euro ab 2025 hätte eine enorme Hebelwirkung für den Ausbau der Schieneninfrastruktur“, betont Henke.

Top-Strecken und hohe Bevölkerungspotenziale

Besonders große Potenziale bieten Strecken wie die Bottwartalbahn zwischen Heilbronn und Marbach, die 69.144 Einwohner erschließen könnte, oder die Brexbachbahn in Rheinland-Pfalz mit einem Potenzial von über 66.000 Anwohnern. Auch die Wiehltalbahn in Nordrhein-Westfalen sowie Strecken in Niedersachsen und dem Saarland gehören zu den vielversprechenden Projekten.

Diese Projekte zeigen, dass eine Reaktivierung stillgelegter Strecken erheblich zur Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung beitragen könnte. Doch dafür sind schnellere Planungen und mehr finanzielle Mittel unerlässlich, um den Reaktivierungsstau aufzulösen und die Schiene als nachhaltige Mobilitätslösung wieder stärker in den Fokus zu rücken.

Top 5 der Strecken nach Bevölkerung der zu erschließenden Kommunen:
  • Bottwartalbahn Heilbronn – Marbach (BW): 69.144 Einwohner
  • Brexbach- bzw. Holzbachtalbahn Engers – Siershahn – Selters – Altenkirchen (RP): 66.266 Einwohner
  • Wiehltalbahn Osberghausen – Waldbröl (NRW): 63.333 Einwohner
  • Abelitz – Aurich (NI): 60.359 Einwohner
  • Primstalbahn Dillingen – Primsweiler (SR): 54.219 Einwohner
Top 10 Strecken nach zu erschließender Bevölkerung pro Strecken-km:
  • Abzw Rheinkamp Süd – Kamp-Lintfort (NRW) 7.478
  • Tornesch – Uetersen (SH) 6.165
  • Wolfratshausen – Geretsried (BY) 5.055
  • Abelitz – Aurich (NI) 4.643
  • Iserlohn – Menden (NRW) 4.260
  • Dillingen – Primsweiler (SR) 4.171
  • Berlin-Wannsee – Stahnsdorf (B/BB) 3.810
  • Bedburg – Elsdorf West (NRW) 3.611
  • Merzbrück – Würselen – Aachen Nord (NRW) 3.519
  • Kellersberg – Siersdorf (NRW) 3.452

Diesen Artikel auf Social Media teilen:

Ähnliche Artikel