ÖVG – Lessons Learned: Wie verändert COVID-19 unsere Mobilität?

Okt 21, 2020 | Bahnunternehmen

Seit Freitag dem 13. März 2020 hat sich unser gewohntes Leben in Österreich und Europa nachhaltig verändert: Wir waren gezwungen unsere Arbeitsweisen, unsere Freizeitaktivitäten und unsere Mobilität aufgrund der COVID-19-Pandemie anders zu gestalten. In einer unerwarteten Geschwindigkeit mussten wir uns damit abfinden, nicht mehr in gewohnter Weise physisch mobil zu sein, sondern uns vor allem virtuell zu bewegen. Diese Veränderung unserer Bewegungsmuster im Personen- und Güterverkehr hat Auswirkungen auf das vorhandene Mobilitätsangebot und den Ansprüchen an den Raum, in dem wir uns fortbewegen und aufhalten.


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Wie ändert COVID-19 Ihre Mobilität?

Die Technische Universität Wien hat im Rahmen einer Studie eine Onlinebefragung in 102 Ländern vorgenommen, um die Veränderung der Mobilität während des Corona-Lockdowns zu erfassen.  Es stellte sich dabei heraus, dass in Österreich sehr schnell eine Umstellung auf Homeoffice erfolgte, und so in etwa 60% von zuhause aus Ihrer Arbeit nachgegangen sind. Dadurch sind sowohl der Autoverkehr (-40%) als auch der ÖPNV (-80%) massiv eingebrochen. In London beispielsweise ist die Zahl der U-Bahn Fahrgäste in Zeiten des Lockdowns fast auf null gesunken.
In den letzten Monaten, vor allem beginnend mit dem Sommer und den schrittweisen Lockerungen, ist der Öffentliche Verkehr mittlerweile wieder auf etwa 80% angewachsen. Der Autoverkehr erlebt sogar einen kleinen Boom – da man im Herbst das Vorjahresniveau im Vergleichszeitraum deutlich überschritten hat.

„In den vergangen Monaten ist es zu verkehrspolitischen Versäumnissen gekommen, Stichwort Parkraumbewirtschaftung und sinkende Treibstoffpreise! – Wenn wir die Klimaziele ernst nehmen müssen wir der aktuellen Entwicklung entgegensteuern!“ – Günther Emberger, TU Wien

Einer der Hauptgründe warum Menschen nun lieber das Auto oder auch das Rad verwenden ist die Angst vor einer Ansteckung in öffentlichen Verkehrsmitteln. 50% der Fahrgäste schätzen die Ansteckungsgefahr als eher hoch ein, obwohl die größte Ansteckungsgefahr im privaten Bereich beziehungsweise im Wohnumfeld vorherrscht. In Österreich wurde bis dato zudem auch kein Cluster im ÖV entdeckt, jedoch in fast allen anderen Lebensbereichen.
Aber nicht alle öffentlichen Verkehrsmittel leiden unter der Angst vor der Ansteckung – der Nachtzug hat sich im Sommer fast vollständig erholt, da die Fahrgäste die Privatsphäre und die Distanz zu anderen Mitreisenden sehr schätzen.

Nichtsdestotrotz wird vor allem das eigene Auto als sicher wahrgenommen. In Anbetracht einer zunehmenden Brisanz des Klimawandels müssen wir aber auch in aktuellen Zeiten eine Mobilitätswende unterstützen!
„Wir müssen territoriale Strukturen neu definieren, kognitive Barrieren entfernen und die Kostenwahrheit politisch umsetzen!“Elisabeth Oberzaucher 

Wie sicher ist der Öffentliche Verkehr nun wirklich?

Kristian Gravert, Leitender Arzt und Hygienesachverständiger der DB AG, gab Einblicke in die aktuellen Studien der Deutschen Bahn. Die haben ergeben, dass nur 0,3% aller MitarbeiterInnen positiv auf Corona getestet wurden. Somit gibt es hier keine Auffälligkeit im Vergleich zur Restbevölkerung. Besonders spannend ist das Ergebnis einer Antikörperstudie, die die DB gemeinsam mit der Berliner Charite durchgeführt hat. Die hat wiederum gezeigt, dass nur knapp 1,3 % der MitarbeiterInnen im Kundenkontakt (z.B. Zugpersonal) bereits eine Coronainfektion hatten. Somit ergibt sich auch hier keine Auffälligkeit bei Menschen und zeigt: „Im Zug besteht kein erhöhtes Infektionsrisiko, weder für Fahrgäste noch für MitarbeiterInnen!“

Mehr Platz in der Stadt

Die Coronavirus-Krise war und ist ein wahrer Augenöffner zur Platzverteilung in der Stadt. Durch den Anstieg von Fuß- und Radverkehr und das bewusste Abstandhalten zu anderen Personen konnte man vielfach bemerken, dass zu wenig Platz vorhanden ist. Gehsteige sind zu schmal, zu wenig Radinfrastrukturen aber im Gegenzug Parkplätze vor fast allen Häusern. Der städtische Nutzungskonflikt wurde zu einem noch größeren Problem. Durch temporäre Begegnungszonen oder Pop-up Radwegen, sprich durch eine Umnutzung des urbanen Raumes, wurde hier Abhilfe geschaffen. So wurde das neu geschaffene Angebot auch sehr gut angenommen ohne andere Verkehrsträger stark zu beeinträchtigen.

Die Städte sind der Lebensraum der Zukunft! Deshalb geht es schon heute darum lebenswerte Städte zu schaffen und ökologische, platzsparende und sichere Verkehrsmittel ausbauen. Durch den Umweltverbund, dass heißt ein Mix aus öffentlichem Verkehr, Fuß- und Radverkehr, wird nicht nur das Klima geschützt, sondern auch der Platz in der Stadt effizient genutzt.

„Meine Befürchtung ist, dass der Anstieg des Autoverkehrs sich noch länger halten wird! Wir müssen jetzt einen Fokus auf eine Weiterentwicklung des Umweltverbundes legen und neue Gewohnheiten zu etablieren!“Andrea Weninger, Rosinak&Partner.

Aber auch aus wirtschaftlicher Sicht macht eine Umgestaltung des öffentlichen Raumes Sinn!  „Flaniermeilen und verkehrsberuhigte Räume die zum Verweilen anregen schaffen eine attraktive Möglichkeit zum Einkaufen sowie Konsumieren – das hilft dem heimischen Handel und der Gastronomie!“Alexander Biach, Standortanwalt Wien

Verlierer und Gewinner der Pandemie: Wie hat sich die Logistik während der Corona-Krise verändert?

Thomas Kargl (RCT) schilderte die Logistik-Herausforderungen in Zeiten von Corona. Im April 2020 ist der Schienengüterverkehr um -33% eingebrochen, bis heute beträgt der Rückgang -15%. Insbesondere der grenzüberschreitende Güterverkehr war in den ersten Wochen nicht planbar, es kam zu Verzögerungen. Allerdings wurden in diesem Transportsegment in den ersten Wochen wegen der Grenzprobleme Güter auch auf die Schiene umgeladen. Insgesamt rechnet er mit einem nachhaltigen Rückgang des Schienengüterverkehrs um etwa 10%, der erst 2023 wieder aufgeholt sein wird. Auf der Straße war der Einbruch nicht so gravierend, da wegen dem Rückgang der verladenen Güter Überkapazitäten die Transportpreise massiv gedrückt haben. Der Frächterpreis beim LKW lag unter 50 Cent pro Kilometer.

Was ist notwendig, damit eine Verlagerung auf einen nachhaltigen Verkehrsträger möglich ist?  Eine internationale Zusammenarbeit ist notwendig, damit die Schiene international funktionieren kann. Jedes Land hat seine eigenen Sicherheitssysteme, für die man überall eine spezifische Bewilligung benötigt. Es dauert sehr lange und sehr teuer, um diese Bewilligungen zu erhalten. Martin Posset berichtet von den Anstrengungen, die Nahrungsmittelversorgung aufrecht zu erhalten und über die Komplexität der Logistik zur Bedarfsdeckung ggf. durch Substitution bestimmter Produkte. Vor allem die Kommunikation der verschiedenen Entscheidungsebenen untereinander stuft er als sehr verbesserungswürdig ein. „Wir sind eine perfekte Verwaltung, aber wir tun uns schwer damit zu organisieren“ – Martin Posset. 

Einig waren sich die Diskutanten über die Notwendigkeit den durch die Corona-Krise ausgelösten Digitalisierungsschub in der gesamten Logistikkette auszunutzen und zu forcieren.
Diese Digitalisierung hilft nicht nur der Logistik, sondern unterstützt damit auch den Fortschritt in der Technologie.  Sind 15 Meeting-Räume wirklich notwendig? Oder wäre es effektiver die MitarbeiterInnen mit Laptop & Online-Tools auszustatten, damit jede/r Mitarbeiter/in sich von überall in Meetings einloggen kann? Dasselbe Prinzip gilt auch für Universitäten und Fachhochschulen und deren Studierenden.  Abschließendes Resümee: Die Logistik und die Logistiker haben rasch und flexibel auf die CoronaKrise reagiert und die Versorgung der Bevölkerung, des Gewerbes und der Industrie aufrechterhalten. Die Errungenschaften, die aus der Pandemie resultierten sollten nicht wieder fallen gelassen werden.

Flatten the curve(s). Wie steht es um die Klimaziele im Mobilitätsbereich?

Nach dem Einleitungsstatement von DI Dr. Willi Haas in dem er den Ressourcenverbrauch der ursprünglichen Jäger&Sammler- sowie Agrargesellschaften (5km/Person Tag, 6-9kg/Person Tag, 0,06 – 0,2 tkm/Person Tag) mit der heutigen Industriegesellschaft (36km/Peron Tag, 61kg/Person Tag 42tkm/Person Tag) verglich und die Ursache dafür in den nahezu unbegrenzten Energieressourcen ausmachte, stellte er die Frage, was ist der „Game changer“, was muss sich in der Verkehrswissenschaft ändern.

Die Diskussionsteilnehmer stimmten überein, dass sich die Corona-Krise wesentlich kurzfristiger auswirken wird, als die Klimakrise, allein wenn man allein die Meilensteine 2030/40/50 betrachtet.

Dr. Martin Kocher (IHS) betonte die Notwendigkeit der Bepreisung klimaschädlichen Verhaltens, was in der ökonomischen Theorie der geeignete Hebel wäre, in der politischen Praxis aber u.a. an den sozialen und gesellschaftlichen Realitäten (z.B.: Dieselprivileg, Pendlerpauschale…) scheitert. Spiekermann (fridays for future) sieht zwar die Klimaziele als ungenügend und die politische Umsetzung als unzureichend an, weil die Transformation der Wirtschaft jetzt sofort stattfinden muss um die Erwärmung des Planeten hintanzuhalten, stellt aber fest, dass – anders als während der Finanzkrise 2008/10 – die Corona-Krise die Klimakrise nicht überdeckt hat, auch in den Medien nicht.

Dr. Sandra Stein (Fraunhofer Austria Research) betonte die Dringlichkeit für alle Akteure, sowohl zur Eindämmung der Corona-Krise und ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen als auch der Klima-Krise und deren wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Jedenfalls hat die Corona-Krise die Klima-Krise nicht aus den Köpfen der Bevölkerung verdrängt.

DI. Hans-Jürgen Salmhofer (BMK) berichtet, dass sich die Zielebenen zur Bekämpfung der Klima-Krise durch Corona nicht geändert haben, aber die Maßnahmenebenen wie z.B.: die ökologische Steuerreform teilweise verzögert haben. Grundsätzlich sind politische Entscheidungen sowohl bei der Corona-Krise als auch bei der Klima-Krise jetzt nötig und deren Unausweichlichkeit muss der Gesellschaft vermittelt werden um akzeptiert zu werden.

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