Die Südstrecke – vom Pionierprojekt zum Streitobjekt

Nov 12, 2017 | Infrastruktur, Innovation, Personenverkehr

Die Südstrecke der österreichischen Eisenbahn: vom Pionierprojekt in der Kaiserzeit bis zum umstrittenen Projekt im 21. Jahrhundert. Wo verläuft sie, warum ist sie so wichtig, und warum wurde sie so lange vernachlässigt?

Die Geschichte der Südstrecke

Die Geschichte der Südstrecke beginnt in der österreichischen Monarchie im 19. Jh., als Slowenien und Teile Italiens noch unter der Herrschaft der Habsburger standen. Die italienische Hafenstadt Triest war für die Monarchie ein sehr wichtiger Handelsplatz. Es war daher für Österreich von großer Bedeutung, mit der Bahn eine Möglichkeit zu erschließen, mit der man Güter schnell vom Adriahafen in das Landesinnere transportieren konnte. Man entschied sich daher, eine Bahnstrecke von Wien über Gloggnitz, Graz, Marburg (Maribor, Slowenien) und Laibach (Ljubljana, Slowenien) nach Triest zu errichten. Bei dem Bau der Südstrecke waren tausende Arbeiter jahrzehntelang beschäftigt. Viele mussten ihr Leben auf diesen Baustellen lassen. Die Planer standen beim Bau auch vor großen Herausforderungen. So galt der Semmering anfangs zum Beispiel als unüberwindbar. Der italienische Ingenieur Karl von Ghega machte es aber möglich. Unter seiner Planung wurde die Semmeringstrecke wie wir sie heute kennen errichtet und mit Zügen befahren. Die Südstrecke war nicht nur in Friedenszeiten für den Gütertransport oder als Reisemittel in den Süden wichtig, sondern sie war auch in Kriegszeiten von größter Bedeutung. Soldaten, Waffen, Munition und alles was man vor Ort brauchte wurde im 1. Weltkrieg mit dem Zug nach Italien gebracht. Ohne die Bahn hätte Österreich nie eine Chance gehabt. Österreich hat den Krieg verloren und die Südbahn und die Südbahngesellschaft wurden zerschlagen. Strecken, Lokomotiven und Waggons wurden strikt nach den neuen Ländern (Österreich, Slowenien, Italien und Ungarn) aufgeteilt. Dies war für die Südbahn natürlich ein großes Problem, da die ganze Strecke nicht mehr unter einer Gesellschaft stand und auf einmal durch mehrere Länder führte. Somit wurde die Südstrecke nicht mehr so intensiv genutzt und wurde jahrzehntelang bei Investitionen vernachlässigt.[note]Vgl.: Wolfgang Kaiser/Andreas Knippig, Eisenbahn in Österreich. Die große Chronik, München 1. Aufl., 8-62[/note]

Erst seit dem Baubeginn der neuen Südstrecke wird sie wieder mehr zum Thema. Dies liegt vor allem daran, dass aufgrund der EU und gemeinsamer Wirtschaftsräume die Adriahäfen wieder wichtiger werden und Ländergrenzen innerhalb der EU weniger Einschränkung (Handelshemmnisse, Grenzkontrollen, etc.) bedeuten.

Wo verläuft die neue Südstrecke?

Seit 1999 ist der Ausbau der Südstrecke in vollem Gange. Baustellen sind an allen Abschnitten zu finden, vom Tunnelbau über Streckensanierung bis hin zur Bahnhofsrenovierung. Die österreichische Südstrecke beginnt auf der Nordbahn zwischen Wien-Süßenbrunn und der 66 Kilometer entfernten tschechischen Grenze. Auch der Ausbau des österreichischen Abschnitts zwischen den Städten Wien und Bratislava ist Teil des Großprojekts.
Der längste und umstrittenste Abschnitt der Südstrecke verläuft wie folgt: Wien Hauptbahnhof – Wiener Neustadt – Gloggnitz – Mürzzuschlag – Bruck an der Mur – Graz Hauptbahnhof – Lavantal – Klagenfurt (– Villach)

Eine Grafik des Verlaufs der Südstrecke

Quelle: ÖBB auf http://bit.ly/Suedstrecke zugegriffen, am 23.05.2017

Die Südstrecke ist ein wesentlicher Teil des 1700 Kilometer langen Baltisch-Adriatischen Korridors zwischen Ostsee und Adria, und ist somit auch Teil der transeuropäischen Netze. Auf diesem Korridor liegen unter anderem Warschau, Brünn, Bratislava und die Adriahäfen Triest und Venedig. Mehr über Transeuropäische Netze könnt ihr in meinem Artikel lesen.

Eine Grafik, die den Baltisch-Adriatischen-Korridor zeigt

Quelle: http://bit.ly/BA_Korridor zugegriffen, am 23.05.2017

Die neue Südstrecke

Insgesamt werden 200 Kilometer Bahnstrecke ausgebaut und 170 Kilometer Neubaustrecke, 90 modernisierte Bahnhöfe und Stationen, 150 Brücken und Unterführungen, 18 neue Bahnhöfe, Stationen und Güterterminals, sowie 80 Kilometer Tunnel und Unterführung realisiert.
Die großen Bauabschnitte sind:

Der Wiener Hauptbahnhof, eine wichtige Verkehrsdrehscheibe für Nah-, und Fernverkehr auf einem Knotenpunkt von drei TEN-Korridoren. Dieser größte Bahnhof Österreichs wurde bereits 2015 fertig gestellt.
Baukosten: EUR 1 Mrd.[note]Vgl.: https://konzern.oebb.at/file_source/corporate/presse-site/Downloads/Publikationen/OEBBinZahlen_2016_de.pdf Zugegriffen, am 23.05.2017[/note]

Das Güterzentrum Süd in Wien Gänserndorf gilt mit einer Umschlagskapazität von 420.000 intermodalen Transporteinheiten (ITE) als der Güterhauptbahnhof Österreichs. Es dient als Schnittstelle zwischen Schiene und Straße, da es direkt an der Schnellstraße S1 liegt. Eine wichtige Rolle spielt es beim Verladen und Umschlagen von Gütern aus dem/in den Süden.
Baukosten: EUR 272 Mio.[note]Vgl.: https://konzern.oebb.at/file_source/corporate/presse-site/Downloads/Publikationen/OEBBinZahlen_2016_de.pdf Zugegriffen, am 23.05.2017[/note]

Die Pottendorfer Linie ist eine zweigleisige Zweitroute für die Südstrecke und verläuft von Wien Meidling nach Wiener Neustadt. Vor allem für den Pendlerverkehr und das Güterzentrum Süd, welches auf dieser Linie liegt, ist dieser Abschnitt sehr wichtig.
Baukosten: EUR 663,4 Mio.[note]Vgl.: https://konzern.oebb.at/file_source/corporate/presse-site/Downloads/Publikationen/OEBBinZahlen_2016_de.pdf Zugegriffen, am 23.05.2017[/note]

Der Semmering-Basistunnel ist 27 km lang und hat zwei Tunnelröhren. Einerseits dient dieser Tunnel als Kapazitätsgewinn zur denkmalgeschützten Stammstrecke und außerdem bringt er einen Fahrzeitgewinn auf der Strecke Wien-Graz.
Baukosten: EUR 3,3 Mrd.[note] Vgl.: https://konzern.oebb.at/file_source/corporate/presse-site/Downloads/Publikationen/OEBBinZahlen_2016_de.pdf Zugegriffen, am 23.05.2017[/note]

Zitat von Klaus Garstenauer zur Südstrecke

Die Renovierung des Grazer Hauptbahnhofs zu einem modernen, barrierefreien und kundenorientierten Verkehrsknotenpunkt ist ebenfalls ein wesentlicher Teil der neuen Südstrecke.
Baukosten: EUR 165 Mio.[note]Vgl.: https://konzern.oebb.at/file_source/corporate/presse-site/Downloads/Publikationen/OEBBinZahlen_2016_de.pdf Zugegriffen, am 23.05.2017[/note]

Die Koralmbahn ist eine 130 km lange Neubaustrecke zwischen Graz und Klagenfurt.
Insgesamt sind entlang dieser Strecke 47 km Tunnel, davon macht der Koralmtunnel 33 km aus, und 100 Brücken.
Dieser Teil der Südstrecke befindet sich bereits seit 1999 im Bau. Teilabschnitte sind schon in Betrieb gegangen, wie zum Beispiel Graz – Feldkirchen – Werndorf.[note]Vgl.: https://infrastruktur.oebb.at/de/projekte-fuer-oesterreich/bahnstrecken/suedstrecke-wien-villach/koralmbahn/rund-um-den-bau Zugegriffen, am 23.05.2017[/note]
Baukosten gesamt: EUR 5,3 Mrd.[note]Vgl.: https://konzern.oebb.at/file_source/corporate/presse-site/Downloads/Publikationen/OEBBinZahlen_2016_de.pdf Zugegriffen, am 23.05.2017[/note]

Nach Zahlen, die die ÖBB im Internet veröffentlicht hat, kostet die neue Südstrecke insgesamt ca. 11,9 Mrd. EUR . Aber natürlich kann sich diese Zahl noch ändern, da bei solch großen Projekten, die sich über Jahrzehnte ziehen, viele unvorhergesehene Dinge passieren können (wirtschaftliche Veränderung im Land, Umplanungen aufgrund unvorhergesehener Bedingungen, Konkurs einer Baufirma, etc.).

Ein sehr umstrittenes Projekt

In einem Presseartikel vom 17. März 2017 von Josef Urschitz titelte man „Falsche Prognosen, echte Milliarden“. In diesem Artikel wird berichtet, dass die Südstrecke eine Verschwendung von Steuergeld sei und Milliardeninvestitionen mit falschen Zahlen beziehungswiese Prognosen gerechtfertigt und geschönt würden. In dem Zeitungsartikel wird davon berichtet, dass die Zahlen im Schienengüterverkehr in Österreich und im benachbarten Ausland stagnieren, beziehungsweise leicht zurückgehen. Deshalb sei ein so massiver Ausbau absolut unnütz.
Es wird der Regierung vorgeworfen, an veralteten Prognosen festzuhalten.

Die Zahlen des Verkehrsministeriums (Bmvit) bestätigen jedoch einen Anstieg des Schienengüterverkehrs um 21 % – 39 % im Zeitraum von 2015 bis 2025.[note]Vgl.: http://diepresse.com/home/wirtschaft/kolumnen/diebilanz/5184862/Schienenverkehr_Falsche-Prognosen-echte-Milliarden Zugegriffen, am 28.06.2017[/note]
Bei diesem Thema prallen 2 Meinungen und viele unterschiedliche Prognosen aufeinander.

Die Meinungen zu diesem Projekt sind auch innerhalb der österreichischen Bahnbranche kontrovers.

Thomas Posch (CCO Westbahn und ehemaliger Mitarbeiter der ÖBB Personenverkehrs AG):

„Aus Sicht des Personenverkehrs ist Semmering für die Verknüpfung von Graz und Wien extrem wichtig und schon lange überfällig! Brenner und Koralm sind meines Erachtens für den Personenverkehr nicht wesentlich.“

Klaus Garstenauer (Leiter Nah- und Regionalverkehr ÖBB):

„Solange an den Großprojekten nur gebaut wurde, war die Kritik daran ein steter Begleiter. Seit die neue Weststrecke eine Fahrzeit von 2:22 ermöglicht, wird die Fertigstellung der Großprojekte Semmeringbasistunnel und Koralmtunnel fast schon herbeigesehnt …“

Warum ist die Südstrecke so wichtig?

In einer persönlichen Stellungnahme der ÖBB Holding durch Pressesprecher Bernhard Rieder heißt es zur neuen Südstrecke:

Bahn ist dort erfolgreich, wo das Angebot stimmt, und für das richtige Angebot müssen die Rahmenbedingungen passen. Für den Personenverkehr bedeutet das Reisezeitverkürzung und Komfort. Wenn wir uns die Reisezeiten zwischen Wien und Linz beziehungsweise Salzburg anschauen, dann braucht man nicht überlegen ob man mit dem Fernbus oder dem Auto schneller ist, denn die Bahn ist hier unschlagbar. Wenn man mit dem Auto jetzt nach Klagenfurt fährt braucht man weniger als 3 Stunden, mit dem Zug etwa 4 Stunden. Da ist der Anreiz für den Zug einfach geringer.
Verkehr kann nur erfolgreich sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die stimmen auf der Weststrecke aber nicht in den Süden. Und dies gilt sowohl für den Personenverkehr mit langen Reisezeiten als auch für den Güterverkehr mit Bergstrecken, wo man Tonnagen Beschränkungen hat oder zusätzliche Schubloks braucht.
Die Leistung der Südstrecke wird durch die Projekte massiv angehoben und das Angebot für Reisende und Transporteure stark verbessert!

Zitat von Niki Schmölz zur Südtstrecke

Meines Erachtens ist die österreichische Südstrecke keine Milliardenverschwendung und auch keine Fiktion der Regierung.
Die Investitionen sind enorm wichtig für die Zukunft der Bahn und des Landes Österreich. Die Eisenbahn ist eines der wichtigsten Verkehrsmittel für jeden Wirtschaftsstandort. Gerade eben auch in Europa vernetzt die Schiene Regionen, Länder und Wirtschaftsstandorte. Die Bahn ermöglicht eine schnelle und zuverlässige Mobilität von Gütern und Personen. Österreich als Binnenland im Herzen der Europäischen Union und als Zentrale von Central and Eastern Europe (CEE) muss hier in der Infrastruktur eben auch einen Beitrag leisten. Einerseits für die eigene Bevölkerung und die eigene Wirtschaft und auch als Transitland für die ganze Europäische Union.

Für den Güterverkehr ist es wichtig, dass die Transportwege effizient und schnell sind. Die Strecken müssen es ermöglichen, dass die Güterzüge ihre volle Geschwindigkeit ausschöpfen können. Und vor allem müssen Strecken und Steigungen so geplant und angelegt werden, dass keine weitere Lok angespannt werden muss.
Fahrzeitverkürzungen spielen auch eine wichtige Rolle, um auf der Schiene ein kostengünstiges und effizientes Transportmittel anbieten zu können. Wenn wir dies erreichen, werden die Transportvolumina und die Zahl der Güterzüge ansteigen und ein ökologischer und effizienter Transport von Gütern wäre für zukünftige Generationen gesichert.
Aber auch für den Personenverkehr ist die neue Südstrecke von großer Bedeutung. Sie ist ein großer Streckenabschnitt im österreichischen Bahnverkehr und ermöglicht eine schnelle Verbindung von wichtigen und großen Ballungszentren (Villach, Klagenfurt, Graz, Wien, Bratislava). Alleine im Süden Österreichs sind 3,5 Millionen Menschen an die neue Hochgeschwindigkeitsachse angebunden. Das sind zirka genauso viele Menschen, wie an der Weststrecke leben.
Zudem werden durch den mehrgleisigen Ausbau Kapazitäten geschaffen, um ein breiteres Angebot im Nah- und Fernverkehr zur Verfügung stellen zu können.
Auch die Effizienz kommt im Personenverkehr nicht zu kurz. In Europa haben wir sehr oft Streckenabschnitte, die mit ihren Kapazitäten an die Grenze stoßen und neben dem Personenverkehr für den Güterverkehr fast keinen Platz mehr bieten. Die Streckenhöchstgeschwindigkeit beträgt 250 km/h. Somit kann der Railjet volle Geschwindigkeit fahren. Aber auch Hochgeschwindigkeitszüge aus dem Ausland könnten ihr volles Potential nutzen (Giruno, SBB und ICE4, DB).
Durch die Tunnel und die neuen Hochgechwindigkeitsstrecken kommt es zu enormen Verkürzungen der Fahrzeiten.

Grafik mit den für 2026 prognostizierten Fahrzeiten auf der Südstrecke

Quelle: ÖBB http://bit.ly/Suedstrecke_Fahrzeiten zugegriffen am 3.07.2017

Somit ist die Bahn konkurrenzfähig zum Flieger und schneller als das Auto oder der Fernbus.

Die Südstrecke ist meiner Meinung nach ein wichtiges Projekt für die Zukunft, sowohl in ökonomischer als auch in ökologischer Hinsicht.
Denn durch steigendes Handelsaufkommen, Wirtschaftswachstum und Innovationen im Güterverkehr wird die Transportnachfrage auf der Schiene ansteigen und Österreich hat so mit den neuen Strecken ausreichend Kapazitäten und wird später nicht hinterherhinken. Man darf nicht vergessen, dass sich solche Megaprojekte für den Errichter der Infrastruktur meist nicht rechnen. Es geht hier um gemeinwirtschaftliche Leistungen, die vor allem die Bevölkerung und die heimische Wirtschaft unterstützen bzw. pushen soll, und nicht dem Staat Gewinne bringen.

Für den Personenverkehr schafft die neue Südstrecke mit den Anschlüssen nach Italien, in die Slowakei und nach Tschechien ein zukunftsfähiges Mobilitätsangebot im Nah- und Fernverkehr und ist ein wichtiger Teil für die Vernetzung von Österreich in der Europäischen Union.

Vielen Dank, wenn ihr bis hierher gelesen habt! Schreibt mir in den Kommentaren was eure Meinung zur Südtrecke ist. Sind die Milliardeninvestitionen sinnvoll, oder glaubt ihr, dass es Steuerverschwendung für zu groß kalkulierte Projekte ist?

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