Ich konnte dazu Joachim Holstein, ehemaliger Nachtzugbegleiter bei der Deutschen Bahn und Nachtzugaktivist, für ein ausführliches Interview gewinnen.
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Würdest du dich bitte kurz vorstellen?
Ich bin in Heilbronn am Neckar, 40 km nördlich von Stuttgart, geboren und aufgewachsen, 1979 zum Studium nach Hamburg gegangen und habe nach Fachwechsel 1998 meinen Magister gebaut (Hauptfach Spanisch, Nebenfächer Neuere Deutsche Literatur sowie Britische Literatur und Kultur). Mein letzter Studentenjob, 1996 begonnen, war der entscheidende: Schlaf- und Liegewagenbetreuer bei der Mitropa. Nach einer Umstrukturierung im DB-Konzern hieß mein Arbeitgeber ab 2002 DB European Railservice, kurz DB ERS; dort war ich ab 2006 in Hamburg Betriebsrat, ab 2010 Mitglied und ab 2014 Sprecher des Wirtschaftsausschusses des Gesamtbetriebsrates.
Was hat dein Interesse an der Bahn geweckt bzw. wie bist du zu einem Job bei der Bahn gekommen?
Die Deutsche Bundesbahn hatte 1978 ein geniales Angebot eingeführt: mit dem »Tramper-Monats-Ticket« konnten Jugendliche und Studenten bis 26 Jahre einen Monat lang alle Züge der DB benutzen; wer einen »Junior-Paß« hatte (heute: My BahnCard 50) zahlte dafür nur 170 DM (87 Euro). Damit bin ich oft mehr als 10.000 km pro Monat gefahren, habe in manchen Jahren fünf oder sechs solche Tickets gekauft und bin zum überzeugten und begeisterten Bahnfahrer geworden. Als ich kurz vor dem Examen einen neuen Studentenjob brauchte, hing im Uni-Büro des Arbeitsamtes ein Angebot: Nachtsteward, Standort Hamburg-Altona. Ich bin nix wie hin und habe meinen Traumjob gefunden: Menschen im Zug durch Deutschland und halb Europa begleiten.
Wie sieht dein Arbeitsalltag bei der Bahn aus?
Die Antwort muss ich ins Präteritum setzen: Mit der Abschaffung der Nachtzüge hat die DB Ende 2016 die Arbeitsplätze unserer rund 500 Kolleginnen und Kollegen vernichtet.
Begrüßen, Helfen beim Finden des Abteils und mit dem Gepäck, gastronomische Wünsche erfüllen, Auskünfte geben – einfach ein guter Gastgeber und auch so etwas wie ein Reiseleiter sein, denn im Unterschied zu Pendlern oder Geschäftsreisenden im Tageszug ist eine Nachtzugreise für viele Gäste nichts Alltägliches, sondern etwas Besonderes. Daher erklärten wir die technischen Einrichtungen und den Zuglauf, insbesondere bei nächtlichem Kursgruppentausch war das wichtig. Später übernahmen wir auch betriebliche Aufgaben und kontrollierten und verkauften Fahrkarten selber, anstatt dies dem Zugführer eines anderen Konzernunternehmens zu überlassen.
Die Arbeitszeiten waren bei uns sehr dehnbar. Es gab Nachtzüge, mit denen man nur von 23 bis 7 Uhr unterwegs war, aber es gab auch Züge wie Hamburg-Klagenfurt mit rund 15 Stunden Fahrzeit, und der längste Dienst war von Hamburg nach Narbonne kurz vor der spanischen Grenze: Dienstbeginn freitags um 7:52 Uhr, Kontrolle des aufgerüsteten Zuges am Abgangsbahnhof, dann gegen Mittag Abfahrt und samstags um 9:45 Uhr Ankunft in Südfrankreich. Siebeneinhalb Stunden später begann die Rückfahrt.
Was sind für dich spannende Entwicklungen im Bahnsektor?
Das ist ein weites Feld, und die Frage zielt sicher nicht auf ein Lamento über Fehler der Vergangenheit, zu denen es ganze Bücher gibt, siehe deutsche Bahnreform.
Aus meiner Sicht stehen die Bahnen vor der Herausforderung, das Bahnfahren für den Kunden genauso einfach und bequem zu machen wie Autofahren oder Fliegen. Also kein Herumsuchen auf und Herumärgern mit drei bis sechs Websites verschiedener Bahngesellschaften, ihren unterschiedlichen Beförderungsbedingungen; kein Bangen, ob und wie mir im Verspätungsfall geholfen wird. Dafür braucht es eine gemeinsame Buchungsplattform für internationale Reisen, gegenseitige Anerkennung von Ermäßigungskarten und Sondertarifen, eine nachvollziehbare Preisstruktur und vergleichbare Standards. Autobahnen und Economy Class sind in ganz Europa ungefähr gleich – nur bei der Bahn erlebt man Überraschungen, egal ob bei der Altersgrenze von Kindern oder bei der Frage, ob man für eine bestimmte Komfortstufe im Nachtzug einen Fahrschein 1. Klasse braucht.
Zweitens wäre es dringend erforderlich, dass die Bahnen mehr kooperieren anstatt sich Konkurrenz zu machen. Warum gilt ein Fahrschein von Köln nach Brüssel entweder nur im ICE oder nur im Thalys, aber nicht in beiden? Warum soll die BahnCard ab Juni 2018 nicht mehr in den ÖBB-Nightjets anerkannt werden, obwohl Kurt Bauer für die ÖBB und Bertold Huber für die DB noch im Februar 2017 die Kooperation als sichere Bank dargestellt haben?
Drittens hat man an vielen Orten den Eindruck, als seien Investitionen hauptsächlich dazu da, um Baukonzerne glücklich zu machen. Ob auf der teuren Strecke genügend Züge fahren, scheint dann niemanden mehr zu interessieren. Villach-Udine: zwei Railjets, ein Nightjet, zwei Regionalzüge, finito. Schnellstrecke Narbonne-Katalonien: nur vier bis fünf Züge pro Tag und Richtung! Zwischen Köln und Brüssel: in beiden Richtungen letzte Abfahrt vor 20 Uhr! Das ist doch erbärmlich! Hier ist auch die EU gefordert. Warum verlangt die EU nicht einen Zweistundentakt tagsüber sowie bei entsprechender Entfernung einen Nachtzug zwischen den Hauptstädten oder anderen Metropolen benachbarter EU-Staaten?
Warum denkst du, dass sich gerade der ÖBB Nachtzug (Nightjet) durchsetzen kann?
Zunächst mal denke ich, dass sich jeder Nachtzug durchsetzen kann, der aus anständigem Wagenmaterial besteht, der einen attraktiven Fahrplan hat und der vernünftig gemanagt wird – solange dieser Zug nicht von interessierter Seite aus sabotiert wird. Ich sage das so deutlich, weil wir bei der DB und weil unsere französischen Freunde es bei der SNCF erlebt haben, dass Nachtzüge im Fahrplan nicht angezeigt werden, viel zu spät für die Buchung freigegeben werden, bei Problemen an der Strecke ignoriert werden und weil sie buchhalterisch als Schuttabladeplatz für alle möglichen Fixkosten dienen. Das kann man in der deutschen und französischen Presse, in Parlamentsprotokollen und in Stellungnahmen der Rechnungshöfe nachlesen.
Uns hat immer erbost, wenn die DB von »nur 1 %« Anteil der Nachtzüge am Fernverkehr gesprochen hat, denn sie hat hier nur Reisende in Schlaf- und Liegewagen gezählt und die über eine Million Reisenden in den Sitzwagen unterschlagen. Die galten als »InterCity-Reisende« und wurden damit dem Tagverkehr zugerechnet – jedenfalls auf der Einnahmenseite. Die Ausgaben wurden natürlich dem Nachtzug reingedrückt. Die ÖBB waren ehrlich und haben auf die Frage, wie sie ihre Zahl von 17 % Nachtzuganteil herleiten, gesagt: das ist Umsatz. (Inzwischen sind es ja rund 20 %.) Die DB hat sich aber nie hingestellt und gesagt: »Umsatz etwa 4 %«. Also viel höher als die genannten 1 %. Da haben die Betreiber ihr eigenes Produkt schlechtgeredet. Und trotzdem sind die Fahrgastzahlen in den DB-Nachtzügen noch bis zum Schluss gestiegen – einfach weil der Bedarf da ist, weil viele Menschen auf eine nächtliche Verbindung angewiesen sind und sich nicht einem Bus anvertrauen wollen, dessen Fahrer womöglich schon zwölf Stunden hinterm Steuer gesessen hat.
Aus dem Kontrast zur DB und zur SNCF wird, glaube ich, schon deutlich, welchen Vorteil der Nightjet der ÖBB hat: Hier bekennt sich ein Betreiber zu seinem Produkt, kümmert sich um das Rollmaterial und hat genügend Erfahrung und eine breite Basis, auf der man aufbauen kann.
War es ein Fehler, dass die Deutsche Bahn das Nachtzuggeschäft aufgegeben hat?
Ja. Ein großer Fehler. Ein Fehler, den man sehenden Auges gemacht hat: man wusste, dass die Fahrgastzahlen stiegen; man kannte den Bedarf – aber man hat ganz offen verkündet, dass man den Nachtverkehr abschaffe, weil der Tagverkehr einen hohen Finanzbedarf habe. Also einerseits hat man behauptet, der Nachtverkehr sei total unbedeutend, und anderseits will die DB einem weismachen, dieser unbedeutende Klacks sei der entscheidende Faktor, um den defizitären ICE-Verkehr zu sanieren? Das passt nicht.
Wie siehst du die massive Ausdünnung des Nachtzugnetzes in Europa, die in den letzten Jahren stattgefunden hat? Was könnte man dagegen tun?
Ich sehe das sehr kritisch. Es ist schlecht für die Mobilität in Europa, es ist schlecht für die Umwelt, und es ist schlecht für das Kennenlernen der Europäer.
Bei der Mobilität fallen wir auf der Schiene gerade ins 18. Jahrhundert zurück, also ins Postkutschenzeitalter: ohne Nachtzüge muss man wie anno damals sich für die Übernachtung ein Quartier suchen und kann die Reise erst am folgenden Tag fortsetzen. Da dauert dann die Reise doppelt so lange, und der Reisende steigt aufs Flugzeug um, womit wir beim Thema Umwelt wären. Eine weitere Steigerung des Flugverkehrs kann sich dieser Planet nicht leisten.
Erst mit einem umfassenden Nachtzugnetz ist bequemes und flexibles Reisen auf Strecken von mehr als 1.000 km möglich, wobei man mit der Kombination aus Nacht- und Tageszug fast genauso schnell ist wie mit dem Flugzeug. Schnell im Sinne von »wie viele Stunden verbrauche ich tagsüber durch das Reisen«.
Nachtzugverkehr fördern kann man, wenn man die Rahmenbedingungen und den konkreten Betrieb anpackt. Da sind wir beim Thema Trassengebühren, die nicht so hoch sein dürfen wie bei Hochgeschwindigkeitszügen (denn die Anzahl der Reisenden und der Verschleiß der Schienen sind geringer) und die in den Tagesrandlagen noch zu senken wären; da sind wir bei der Umsatzsteuer für Auslandsfahrkarten und bei der Energiesteuer (Auslands-Flugtickets und Kerosin sind steuerfrei); da sind wir bei Stationsgebühren. Kurz gesagt: Die Diskriminierung der Nachtzüge (und der anderen Züge) gegenüber Flugzeug und Fernbus muss beendet werden. Es muss mindestens Gleichstand bei den Bedingungen herrschen, aber eigentlich sollte das umweltfreundlichste Verkehrsmittel Vorteile genießen!
Für den Betrieb von Nachtzügen ist es wichtig, ein sinnvoll gestaltetes Netz zu haben – da können die ÖBB als Vorbild dienen, die ihr bestehendes Netz genau um solche »deutsche« Linien erweitert haben, die das Bestandsnetz klug ergänzen. Dafür braucht man eine bestimmte Größe. Wir wissen, dass sowohl die Schweizer als auch die Dänen sagen: Wir sind so klein, wir können keine eigenen Nachtzüge fahren, aber wenn andere das machen, dann helfen wir gerne. Hier ist also Kooperation gefragt.
Ideen dazu gibt es einige. In Deutschland haben wir ein Netz für West- und Mitteleuropa skizziert, das wir »LunaLiner« getauft haben. Ein internationales Netzwerk namens »Back on Track« setzt sich für Nachtzüge ein und bearbeitet die Ebene der EU; wir hatten am 30. Januar 2018 dazu eine Veranstaltung in Brüssel, an der übrigens auch Kurt Bauer von den ÖBB teilgenommen hat.
Wie würdest du den Nightjet beurteilen in Sachen Service, Wagenmaterial und Preis?
Um mit dem Preis anzufangen: Den finde ich okay. Allerdings ist es fatal, dass die Tarifkooperation mit der DB im Juni 2018 auslaufen soll. Mein Kenntnisstand ist, dass die DB sich geweigert hat, den ÖBB über Juni 2018 hinaus einen angemessenen Ausgleich für die Nutzung innerdeutscher Strecken und deutscher Teilstrecken durch Inhaber von BahnCard 25, 50 und 100 zu bezahlen – obwohl der deutsche Bundestag die Bundesregierung im Juni 2017 aufgefordert hat, sich gegenüber der DB für einen Ausbau der Kooperation einzusetzen. Die Regierung hat im Januar 2018 eine Anfrage der Linkspartei beantwortet: Sie erklärt sich für das Durchsetzen der Kooperation bei ihrer eigenen Bahn als nicht zuständig und freut sich geradezu noch darüber, wenn die DB mit ihren nächtlichen ICEs den ÖBB die Kunden abspenstig machen will: das sei der »gewünschte Wettbewerb«.
Beim Wagenmaterial können die ÖBB sich freuen, 42 Schlafwagen der Baureihe 173 von der DB gekauft zu haben, denn die sind deutlich moderner, ruhiger und bequemer als die Doppelstockwagen, die ich aus DB-Zeiten ja auch kenne. Allerdings sollten die ÖBB klar kommunizieren, ob das gebuchte Abteil in einem Wagen der Baureihe 173 oder im DoSto ist, denn die Unterschiede sind schon beträchtlich. Bei den Liegewagen haben die ÖBB leider nur 15 behindertengerechte bei den DB gekauft; hier vermissen die Kunden die Halbgepäckliegewagen mit den 20 Fahrradstellplätzen. An dieser Stelle sollten die ÖBB unbedingt nachbessern, denn der Fahrradtourismus boomt, und der Bedarf ist weitaus größer als das Angebot.
Beim Service habe ich von Kunden immer wieder sehr positives Feedback zum Liegewagenfrühstück bekommen, das bei der DB nicht inklusiv war. Auch die abendlichen »Goodies« im Schlafwagen liegen über dem DB-Standard.
Zum Personal haben wir unterschiedliches Feedback bekommen. Einerseits wurde die Freundlichkeit gelobt, andererseits wurden auch fehlende Präsenz und das Ignorieren von anschlagenden Brandmeldeanlagen moniert. Und dann berichten uns Stammkunden auch noch, dass sie in vielen Fällen für ihren Ausstieg um kurz nach 6 Uhr nicht rechtzeitig geweckt wurden. Laut ÖBB soll das Reisen in ihren Nachtzügen »lässig statt stressig« sein – wenn aber der Subunternehmer nachlässig oder fahrlässig arbeitet, wird es stressig für den Kunden.
Wieso glaubst du, dass der Nachtzug nach wie vor Zukunft hat?
Er ermöglicht Bahnreisen rund um die Uhr. Er füllt die Lücke zwischen dem letzten Tageszug und dem ersten Zug des Folgetages; oft geht er später als der letzte Flieger und kommt früher an als der erste Flieger – und erspart dabei noch das Hotel. In Kombination mit Tageszügen bietet er flexible Möglichkeiten für Geschäftsreisen, Städtetourismus, Verwandtenbesuche und macht die Bahn auf der Mittelstrecke mit dem Flugzeug konkurrenzfähig: Wer von Wien nach Rom will, braucht mit Railjet & Co 11 bis 13 Stunden – da ist der Tag gelaufen. Mit dem Nachtzug mache ich das zwischen abends halb acht und morgens halb zehn und habe den Tag gewonnen.
Wie könnte man deiner Meinung nach den Nachtzug weiter attraktivieren und vielleicht auch die junge Gesellschaft dafür begeistern?
Die »junge Gesellschaft« hat dank der Einführung von Interrail (1972) mit Nachtzügen ganz Europa bereist. Jugendgruppen, egal ob Schüleraustausch, Pfadfinder oder kirchliche Gruppen, waren wie selbstverständlich in Nachtzügen unterwegs und verbanden das Nützliche (heute hier – morgen dort) mit dem Angenehmen (Ausflug und Party, Geselligkeit und »Team-Building«, wie es so schön heißt). Bei der Fußball-EM 2000 in Belgien und den Niederlanden waren Fußballfans aus Skandinavien mit Interrail-Tickets unterwegs und fuhren zwischen den Spielen nach Hause, bei der WM 2006 hatten wir im Nachtzug zwischen Paris und Hamburg die längste Fanmeile der Welt, mit jungen – und älteren – Leuten aus Afrika, Südamerika, Frankreich, England und der Karibik.
Wer so etwas erlebt hat, ist und bleibt vom Nachtzug begeistert. Diejenigen, die das nicht kennen, wird man vielleicht emotional packen können. Nicht mit dem »Mord im Orient-Express«, sondern mit dem, was für die Generation der Jahrgänge ab 1955 selbstverständlich war. Und natürlich muss man die Nachtzüge modernisieren. Das fängt bei zwei ganz kleinen Bauteilen an: Steckdosen und USB-Buchsen zum Aufladen der Elektronik. Man sollte unbedingt die Vielfalt der Preis- und Komfortkategorien beibehalten – vom Sitzplatz über die Liegeplätze bis zu Schlafwagenabteilen. Dass die ÖBB das Liegewagen-Mockup der DB gekauft und in Wien ausgestellt haben, um Kundenmeinungen zum Konzept von Einzel-Liegekabinen einzuholen, war ein richtiger Schritt, dafür gibt es sicher einen Markt, nämlich bei denen, die derzeit ein Einzelbett im Schlafwagen bei Dreierbelegung buchen. Allerdings meine ich, dass man trotzdem auch Vierer- und Sechser-Liegeabteile beibehalten sollte, denn sie werden die erste Wahl für Familien und Gruppen bleiben.
Wichtig ist ferner, auch dann duschen zu können, wenn man kein Abteil erster Klasse abbekommen hat. Dass Nachtzüge auch Stauraum für Fahrräder bieten müssen, habe ich schon erwähnt. Die Mitnahme von Autos und Motorrädern kommt auf manchen Strecken auch in Frage – die ÖBB zeigen ja, dass so etwas geht. Die Autozug-Kunden sind übrigens nicht nur Urlauber, sondern auch Geschäftsreisende, für die Zeit Geld ist und die nicht zwei Tage auf den Autobahnen verlieren wollen, wenn sie aus der Gegend von Köln oder Hamburg kommen und Kunden in Österreich aufsuchen müssen. Und dann stelle man sich mal vor, auf den Transportwagen gäbe es Ladesteckdosen für Elektroautos. Dann hätte man mit denen plötzlich 1.500 oder 2.000 km Reichweite.
Wichtig ist, dass man den Reisenden überhaupt die Chance gibt, einen Nachtzug zu buchen. Dazu müssen sie zuallererst wissen, dass es ihn gibt. Die DB hat ihn jahrelang regelrecht versteckt: nur wer wusste, dass es einen Nachtzug von A nach B gibt, konnte durch geschicktes An- oder Wegklicken von Suchkriterien auf der DB-Website für seine Reise von X nach Y via A und B den Nachtzug in seine Planung einbeziehen. Hier würde eine gemeinsame Informationsseite, am besten gleich mit Buchungsmöglichkeit, sehr helfen.
Die Attraktivität kann auch gesteigert werden, wenn das Preissystem vereinfacht wird: Normale Fahrkarte plus Aufpreis für die Komfortkategorie, basta. Keine isolierten Spezialtarife, mit denen man Nachtzüge zu Fremdkörpern im System macht.
Wie kann man den Nachtzug gegenüber dem immer schneller werdenden Tagverkehr konkurrenzfähig halten bzw. wie sieht die Zukunft des Nachtzuges deiner Meinung aus?
Bei der Frage nach der Zukunft habe ich die wichtigsten Argumente pro Nachtzug schon genannt. Der entscheidende Punkt ist: Bestimmte Bahngesellschaften – allen voran DB, SNCF, RENFE und Trenitalia – müssen aufhören, Nachtzüge als Konkurrenz der Tageszüge zu behandeln und sie am liebsten zu verstecken und zu verschweigen. Sondern diese beiden Zugarten des Fernverkehrs ergänzen einander.
Natürlich erwartet der Kunde in einem Nachtzug einen ähnlichen Standard wie im ICE, EC oder Railjet. Das heißt vor allem: ein gastronomisches Angebot, genügend Steckdosen, WLAN und einen gedruckten Fahrplan. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass eine feste Anlaufstelle des Zugchefs, also eine Art Rezeption oder Servicebüro, bei den Gästen hervorragend ankommt. Sehr beliebt war und ist übrigens eine lange Standzeit des Nachtzuges am Abgangs- und am Endbahnhof, wenn also der Zug nicht erst spätabends kurz vor knapp bereitgestellt wird.
Was würdest du jungen Menschen mitgeben, die ebenfalls im Schienensektor arbeiten wollen?
Als allererstes: Für das umweltfreundlichste und humanste Verkehrsmittel zu arbeiten, ist eine gute Entscheidung. Seid selbstbewusst und meldet Euch zu Wort, wenn in Medien und Politik nur das Auto und das Flugzeug als »moderne« Verkehrsmittel propagiert und mit Geld bedacht werden sollen. Tauscht Euch mit Kollegen aus, im Inland und im Ausland. Versucht, die Bahn auch aus den Augen der Fahrgäste bzw. der Auftraggeber beim Güterverkehr zu sehen. Engagiert Euch in der Gewerkschaft. Und denkt immer dran: Die Bahn ist ein komplexes System, das nur dann gut funktionieren kann, wenn viele Rädchen ineinandergreifen. Da ist es besser, wenn sich alle Rädchen als Teil des Gesamten begreifen und den Reisenden oder den Eigentümer der Fracht als einzigen Kunden ansehen, anstatt – wie die DB – die Bahn in Tausende von Einzelfirmen zu zersplittern, die sich gegenseitig als Kunden verstehen und sich Rechnungen stellen müssen.
Wer ist deiner Meinung nach die Person mit den faszinierendsten/zukunftsweisendsten Ideen zum Thema Bahn und Mobilität?
Da möchte ich mir kein Urteil anmaßen. Außer: Elon Musk ist es nicht. Und vielleicht ist es das Wichtigste und Zukunftsweisendste, schon längst bekannte Ideen und Konzepte in die Praxis umzusetzen: zum Beispiel eine Mobilitäts-Flatrate nach Schweizer Vorbild (Generalabonnement) oder einen integralen Taktfahrplan vom Fernzug bis zum Stadtbus. Da gibt es einige Menschen und Organisationen, die sich für solche Ideen einsetzen.