„Wunderbarerweise gibt es sie noch, obwohl alles getan wurde, um sie auszulöschen.“
Dieses Statement von J.M. Simon, des ehemaligen Generaldirektors von Wagons-Lits aus dem Jahre 1993, hat auch heute noch Bestand.1
Nachtzüge werden eingestellt, ihr Netz ausgedünnt oder das Equipment vernachlässigt.
Doch gerade die österreichische Staatsbahn schlägt hier einen anderen Kurs ein. Die ÖBB Nightjets erfreuen sich steigender Beliebtheit und Expansion.Das könnte euch auch interessieren:
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Nachtzug in Europa
Bereits seit 1852 wird in Europa der nächtliche Zugverkehr angeboten und in Anspruch genommen. Damals waren die Züge langsamer, aber man konnte sicher mit Dinner und Schlaf eine lange Fahrtzeit besser ertragen. Mit billigen Flügen und Hochgeschwindigkeitszügen in Europa trat der Nachtzug den Rückzug an.
Heute haben viele Unternehmen (z. B. DB, SBB) das Geschäft mit der nächtlichen Mobilität bereits eingestellt. In Europa betreiben zurzeit nur noch 15 Unternehmen Nachtzüge.2 Einige der Betreiber, wie die SNCF, die im Sommer 2016 mehrere Linien gestrichen hat, haben ihr Netz bereits stark ausgedünnt.3
Das Nachtzugangebot in Europa wird auch von Unternehmen außerhalb Europas ergänzt. Die russische Staatsbahn RZD fährt zum Beispiel mit dem Nachtzug zweimal pro Woche Moskau-Berlin hin und zurück.4
Die ÖBB Nachtzüge
Die Österreichischen Bundesbahnen, mittlerweile der größte Nachtzuganbieter Europas, haben es geschafft, durch Marketing und Service einen Nachtzugboom auszulösen.
Das Nightjet-Streckennetz erstreckt sich über Österreich, Deutschland, die Schweiz und Italien.
Gemeinsam mit Partnern betreiben die ÖBB auch Nachtzüge in Kroatien, Rumänien, Ungarn, Polen, der Slowakei, Slowenien und Tschechien.

Im Dezember 2016 haben die Österreichischen Bundesbahnen ihr Streckennetz vor allem in Deutschland ausgeweitet. Sie haben 6 Nachtzuglinien von und nach Deutschland von der Deutschen Bahn (DB), übernommen. Diese hat aufgrund von mangelnder Rentabilität das Nachtzuggeschäft aufgegeben.5
Mit dieser Übernahme ist es der ÖBB gelungen, einen großen Markt für sich zu gewinnen und Kundinnen und Kunden aus dem Heimatmarkt Österreich ein größeres Netz innerhalb Europas zu bieten.
Die ÖBB kann mit dem Nachtzug profitabler wirtschaften als die DB, weil der Nachtzug bei der ÖBB 17% des Fernverkehrs ausmacht und bei der DB lediglich 1%. Somit kann die österreichische Staatsbahn den Nachtzug besser in das Netz einflechten.6
Zudem erklärt ÖBB Personenverkehrs AG Vorstandsvorsitzende Valerie Hackl dem Standard:
„Wir haben uns die Rosinen aus dem Nachtgeschäft der Deutschen Bahn herausgepickt, die in unser Netzwerk passen.“7
Zudem wollen die ÖBB durch besseren Service, sowie Motorrad- und Autobeförderung punkten.8
Die Firma Newrest Wagon-Lits kümmert sich um den Service an Board und um das Catering und ist somit ein wichtiger Partner der ÖBB im Nachtzuggeschäft.
Der Nightjet
Mit den Strecken haben die ÖBB auch Wagenmaterial von der DB übernommen. Diese Schlaf- und Liegewägen sind ebenso veraltet wie das andere Equipment der österreichischen Staatsbahn. Die Bundesbahn hat lediglich für ein einheitliches Nightjet-Design gesorgt. Deshalb will die ÖBB hier verstärkt investieren und hat bereits die Bilder ihres neuen Rollmaterials, welches ab 2020/2021 durch Europa fahren soll, vorgestellt.


Die ÖBB schreiben dazu auf ihrer Homepage:
„Kunden für Bus und Bahn zu begeistern ist das klare Ziel der ÖBB. Damit das auch in den Nightjet Nachtreisezügen gelingt, haben die ÖBB ein international renommiertes Designstudio beauftragt, die nächste Generation an Schlaf- und Liegewagen für die Zeit ab 2020 zu entwickeln. Basis für das neue Design waren die Anforderungen und Bedürfnisse unserer Kunden: mehr Komfort und Privatsphäre, hochwertige, angenehme Materialen und eine optimale Ausnutzung des Raumangebotes.“9
Die Erfolgsstory
Vom Start des Nightjetkonzepts im Dezember 2016 bis Mitte April 2017 haben die ÖBB 600.000 Tickets verkauft und liegen somit laut eigenen Angaben über der Planung. Der Nightjet ist außerdem großer Treiber des Fahrgastrekords (244.000.000 Fahrgäste 2016) der ÖBB. 10
Zudem hat Andreas Matthä bei der Bilanzpräsentation am 27.04.2017 gesagt, dass die Nachtzüge nach Italien und Kroatien für den Sommer 2017 schon sehr gut gebucht seien und man schnell sein müsse, um noch Tickets zu erhalten.
Es scheint, als würde das Marketing und das Angebot der ÖBB in Europa Erfolg haben.
Auch neue Halte werden sehr gut angenommen, wie zum Beispiel im kleinen Städtchen Rosenheim, wo man auch nach wenigen Tagen über den erwarteten Passagierzahlen lag.11
Gründe für den Erfolg sind meines Erachtens nach einerseits das große Streckennetz der ÖBB. Aber auch der Preis wird im Wettkampf gegen den Flieger, dem meiner Meinung nach größtem Konkurrenten des Nachtzuges, eine große Rolle spielen.
Bei FlyNiki kostet ein Flug von Wien nach Venedig laut der Onlineauskunft am 29.05.2017 zwischen EUR 133,– und EUR 339,–.
Mit dem ÖBB Nightjet kann ich mit der Sparschiene bereits ab EUR 39,– Ziele in ganz Europa anfahren. Für ein 1-Bett Schlafwagenabteil beträgt der Preis der Sparschiene EUR 133,–. Das heißt, wenn man rechtzeitig buchen kann, fährt man auf der Schiene auf jeden Fall billiger.
Zudem hat es für viele einen Anreiz bei Reisen innerhalb Europas die ökologischste Variante der Fortbewegung, nämlich die Bahn, in Anspruch zu nehmen. Auch die Auto- und Motorradmitnahme am Zug wird einige Urlauber anlocken, die vielleicht keine Langstrecken mit dem Auto überwinden, jedoch vor Ort mobil sein wollen.
Für manche mag auch der doch etwas altmodische Charme des Nachtzuges ein Grund sein, den Zug auch in der Nacht zu nehmen.
Zudem hat Europa einfach noch kein flächendeckendes Hochgeschwindigkeitsnetz auf der Schiene, deshalb dauern Zugreisen einfach oft noch sehr lange. Diese im Schlaf hinter sich zu bringen ist natürlich ein Anreiz den Zug zu nehmen.
Mein Fazit zum Nightjet
Für mich ist der Nachtzug eine optimale Ergänzung im europäischen Schienenverkehrsnetz. Außerdem ist es für mich eine durchaus angenehme und ökologische Art des Reisens, die ich auch gerne in Anspruch nehme.
Nachteile des Nachtzuges sind für mich zu kurze Betten und, je nach Strecke und Wagenmaterial, das unruhige Fahrgefühl, welches einen öfter mal wach werden lässt. Ich denke aber, dass mit den neuen Wagen der ÖBB gerade in Sachen Komfort und Ruhe neue Maßstäbe gesetzt werden.
Ich persönlich finde es toll, dass die ÖBB mit dem Nightjet ein Erfolgsprodukt kreiert haben und ich hoffe auf ein weiterhin wachsendes Streckennetz.
Mein schönstes Nachtzugerlebnis war, als ich in Venezia S.L. ausgestiegen bin, den Bahnhof verlassen habe und direkt am Canale Grande gestanden bin, während die Gondeln an mir vorbeifuhren. Diese Art des Reisens möchte ich keinesfalls missen!
Vielen Dank, wenn ihr bis hierher gelesen habt! Schreibt mir eure Gedanken zum Nightjet einfach in die Kommentare und lasst mich wissen, welche Fragen zu diesem oder anderen Themen euch noch unter den Nägeln brennen.
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Endnoten
- https://www.nachtzug-retten.de/wp-content/uploads/2016/05/actima-studie-zukunft-nachtzug.pdf Seite 4, zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://www.interrail.eu/de/zuege-europa/nachtzuege zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://www.stimme.de/heilbronn/nachrichten/region/Die-Nachtzuege-rollen-noch;art16305,3813939 zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://www.tagesspiegel.de/berlin/russische-staatsbahn-mit-dem-nachtzug-von-berlin-nach-moskau/14759050.html zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://www.spiegel.de/reise/aktuell/oebb-bieten-acht-nachtzugverbindungen-an-a-1115590.html zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://derstandard.at/2000054306556/OeBB-setzt-auf-Nightjets-Flotten-Modernisierung-geplant zugegriffen am 29.05.2017
- https://derstandard.at/2000054306556/OeBB-setzt-auf-Nightjets-Flotten-Modernisierung-geplant zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://wien.orf.at/news/stories/2801767/ zugegriffen am 29.05.2017
- https://www.oebb.at/de/news/neues-schlaf-liegewagendesign zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://www.pressreader.com/austria/kurier/20170428/281689729706589 zugegriffen am 29.05.2017
- Vgl.: https://www.rosenheim24.de/rosenheim/rosenheim-stadt/rosenheim-ort43270/rosenheim-halt-oebb-nightjets-rosenheim-angelaufen-8308961.html zugegriffen am 3.09.2017
Hallo Niki,
mit dem Nightjet haben die ÖBB einen mutigen Schritt getan. Ob sich das Angebot dauerhaft am Markt etablieren kann, wird die Zeit zeigen. Ich hoffe es sehr! Ein harter Schlag wird sicherlich die im Sommer endende Ticket-Kooperation zwischen österreichischer und deutscher Bahn. Es wäre schön, wenn sich dort noch etwas bewegt.
Viele Grüße und frohe Weihnachten,
Sebastian
Hallo Sebastian!
Du hast recht, es war für die ÖBB war es ein großer und mutiger Schritt. Auch ich hoffe, dass sich das Angebot halten wird und vielleicht sogar über die Jahre erweitert wird. Zurzeit läuft es mit dem Nightjet gut und durch das Ende der Kooperation zwischen ÖBB und DB, könnte dies natürlich in Gefahr kommen. Und dies wird wahrscheinlich zu einem Rückschritt für den Nachtzug in Europa führen.
Liebe Grüße und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Niki
Finde die Nachtzüge sympathisch, aber wenn, dann nur Zweierabteil mit meiner Frau oder sonst alleine, aber auf so engem Raum mit Fremden…. nein, danke. Dann kostet es aber auch ordentlich, da fliege ich lieber. Und es bleiben im Hinterkopf die vielen Geschichten von Dieben im Nachtzug. Das sind meine Gedanken zum Thema.
Hallo Georg!
Bin absolut deiner Meinung, ich selbst verbringe meine Nachtruhe auch gerne alleine oder mit vertrauten Personen.
Den Punkt den du angesprochen hast, ist auch einer meiner größten Kritikpunkte.
Deshalb ist es auch wichtig neues Wagenmaterial anzuschaffen, dass auch zeitgemäß ist.
Liebe Grüße
Niki