Jan Harder: „Der österreichische Škoda-Standort ist ein voller Erfolg.“

Nov 21, 2024 | Advertorial, Bahnindustrie, Interviews

Im Gespräch mit Niki Schmölz gibt Jan Harder, President West, North and RoW Škoda Group, spannende Einblicke in die aktuellen Projekte und Visionen des Unternehmens. Mit einem klaren Fokus auf die Förderung von umweltfreundlichem Schienenverkehr und digitalen Technologien, arbeitet das Unternehmen an zukunftsweisenden Lösungen für die Eisenbahnindustrie und gestaltet aktiv die Entwicklung des europäischen Verkehrsmarktes mit.

Könnten Sie uns zu Beginn einen Überblick über die Gruppe geben – welche Projekte laufen derzeit?

Die Škoda Group ist ein Hersteller komplexer Verkehrslösungen und bietet eine Produktpalette moderner Fahrzeuge, die den neuesten europäischen Standards entsprechen. Nach mehr als 165 Jahren Unternehmensgeschichte sind wir der direkte Nachfolger der 1859 von Graf Wallenstein gegründeten Maschinenbauwerke und ein führendes europäisches Unternehmen im Bereich Verkehrstechnik. In unserem Portfolio befinden sich öffentliche Verkehrsmittel und Komponenten, darunter Niederflurstraßenbahnen, S-Bahn-Einheiten, U-Bahn-Züge, Elektrobusse und Trolleybusse sowie Steuerungs- und Antriebssysteme für Verkehrssysteme. Wir beschäftigen rund 10.000 Mitarbeiter an verschiedenen Produktionsstandorten in der Tschechischen Republik, Finnland und der Türkei sowie in mehr als einem Dutzend Büros in Deutschland, Italien, Österreich, Belgien, Polen, Ungarn und der Ukraine.

Derzeit arbeiten wir an mehreren Projekten in unserem Portfolio. Wir beenden die Produktion von 110 Zügen für die Tschechischen Staatsbahnen, darunter die ersten vier batteriebetriebenen Elektroeinheiten. Danach starten wir die Produktion von weiteren 15 BEMU (Battery Electric Multiple Units). Wir liefern Breitspurzüge nach Lettland und Estland. Unsere Züge sind oder werden an den privaten Betreiber RegioJet in der Tschechischen Republik, an nationale Betreiber in der Slowakei oder Bulgarien geliefert und für Finnland und Italien produzieren wir Schlafwagen. An unseren Produktionsstandorten arbeiten wir an Straßenbahnen für 14 Städte (Helsinki, Tampere, Bergamo, Prag, Bratislava, Pilsen, Brünn, Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt (Oder), Cottbus, Brandenburg an der Havel, Kassel). Wir produzieren auch neue U-Bahn-Züge für Sofia. Insgesamt handelt es sich um Hunderte von Fahrzeugen. Allein für Prag haben wir einen Vertrag über bis zu 200 Straßenbahnen.

Unsere Bemühungen zeigen sich auch in digitalen Technologien. In unserer belgischen Tochtergesellschaft arbeiten wir an eigenen Signalsystemlösungen. Zudem rüsten wir Fahrzeuge mit ETCS aus, wie etwa die gelbe Flotte für Speno. Mit unserem Smart Depot haben wir erfolgreiche Tests im Depot in Tampere durchgeführt und verbessern weiterhin unser Kollisionsvermeidungssystem. Auch unsere elektrischen Komponenten bleiben nicht ungenutzt. Wir installieren sie derzeit in 91 Trolleybussen für die italienische Stadt Genua sowie für die schwedische Stadt Landskrona. Sogar Straßenbahnen in Melbourne werden mit unseren elektrisch betriebenen Systemen ausgestattet.

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, vor denen die Eisenbahnindustrie derzeit steht, und wie geht die Škoda Group mit diesen Herausforderungen um?

Die größten Herausforderungen für die Industrie sind einerseits der Rückstau und die Lieferkettenprobleme, die nach der großen Krise durch COVID-19 und dem Russland-Ukraine-Konflikt auftraten, und andererseits der hohe Bedarf an nachhaltigen Mobilitätslösungen. Dies setzt die Eisenbahnindustrie unter Druck. Die kontinuierlichen Investitionen in den Schienenverkehr zur Reduktion von CO2-Emissionen sind Eckpfeiler der politischen Maßnahmen weltweit, und die Branche tut ihr Bestes, um dieser Nachfrage gerecht zu werden und die Kapazitäten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten optimal zu nutzen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn alle Akteure der Eisenbahnbranche zusammenarbeiten, langfristige Planungen ermöglichen und eine solide finanzielle Grundlage für unsere Kooperationen sicherstellen.

Wo erwarten Sie mehr Unterstützung durch europäische sowie nationale Standort- und Industriepolitiken für die Eisenbahnindustrie?

Ich kann nur wiederholen, was viele andere auch sagen: Die EU und die europäischen Staaten müssen die technischen Anforderungen weiter standardisieren und harmonisieren. Dies darf nicht nur leere Worte sein, sondern wir müssen insgesamt unsere Bereitschaft zur Anpassung erhöhen. Die Hürden sind heute noch hoch, und wir sind weit davon entfernt, ein effizientes europäisches Verkehrsnetz zu haben. Das wird Finanzierung benötigen, aber auch die regionalen oder nationalen Genehmigungsprozesse müssen abgeschafft werden. Die Bürokratie muss schlanker und schneller werden. Wir benötigen das Engagement der politischen Entscheidungsträger und eine intensivere Umsetzung der europäischen Normen in Europa sowie die Sicherstellung ihrer Anwendbarkeit in anderen Regionen der Welt, wie z. B. in den 1520-mm-Gauge-Ländern. Ein weiteres Thema ist, die europäische Eisenbahnindustrie wettbewerbsfähig zu halten und Finanzierungsmodelle sowie Unterstützung zu schaffen, um internationale Projekte gegen nicht-europäische Wettbewerber zu gewinnen. Initiativen müssen abgestimmt werden und dürfen nicht nur von einem Mitgliedstaat für dessen Industrie angeboten werden. Drittens muss die ordnungsgemäße Finanzierung der Betreiber durch die Staatsbudgets sichergestellt werden und darf nicht von den Eisenbahnlieferanten vorfinanziert werden. Das kann nicht funktionieren, und Betreiber müssen in der Lage sein, rentable Betriebe zu führen, um den Shift-to-Rail-Prozess zu steigern, etwa durch Fahrgastgarantien für weniger attraktive Strecken. Abschließend müssen wir in Zukunft sicherstellen, dass unvorhergesehene Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie und der Russland-Ukraine-Krieg anerkannt werden und die Möglichkeit besteht, laufende Projekte und Verträge neu zu verhandeln. Hoffen wir, dass wir nicht bald mit einer neuen Krise konfrontiert werden, aber wir haben jetzt die Lektion gelernt und die Auswirkungen verstanden. Daher sollten wir dies in neuen Ausschreibungen nicht ignorieren, sondern Regelungen schaffen, um unerwartete Änderungen, wie Preissteigerungen, zu managen. Leider ist dies nicht der Standardansatz, den die Industrie akzeptieren kann. Hier appellieren wir an die Politiker, sicherzustellen, dass dies auch in einem europäischen Standard berücksichtigt wird.

Vor fast zwei Jahren hat Škoda Molinari Rail übernommen. Welche Rolle spielt der österreichische Standort innerhalb der Škoda Group und welche Chancen sehen Sie für die Zukunft?

Für mich persönlich und auch geschäftlich war die Übernahme ein voller Erfolg, und die Integration in die Škoda Group ist vollständig abgeschlossen. Seit Februar 2023 sind wir gemeinsam mit Martin Zsifkovits, unserem Geschäftsführer hier in Wien, und seinem Team in Wien und Schwaz, Tirol, ein integraler Bestandteil unserer Aktivitäten. Ein Schlüsselbereich ist unsere Expertise in der Integration und Homologation von ETCS-Projekten. Die Unterstützung dieses Eckpunkts der europäischen Eisenbahninfrastruktur ist eine Verpflichtung, der sich die gesamte Branche stellen muss, um die Umsetzung der Fahrpläne zu sichern – sei es mit eigenen oder Drittanbieterprodukten. Wir sind auf einem guten Weg in der tschechisch-österreichischen Kooperation mit unseren Projekten zur Sanierung von Eisenbahnwagen, die derzeit in Šumperk realisiert werden, und mit unserer Zusammenarbeit mit Siemens Mobility für die neuen CD182 ComfortJet-Wagen in der Tschechischen Republik. Auch setzen wir unsere Zusammenarbeit mit Partnern und Kunden in Österreich fort.

Es ist sehr wichtig zu sagen, dass wir unsere neue innovative Lösung für Nachtzüge vorgestellt haben – das Konzept „Sleep in Motion“. Dieses bahnbrechende Design, das von Designern aus unserem österreichischen Büro entwickelt wurde und während der InnoTrans 2024 in Form eines Mock-ups präsentiert wurde, verbessert den Komfort, die Privatsphäre und die Betriebseffizienz bei gleichzeitig hoher Passagierkapazität. Indem es die Herausforderungen der aktuellen Nachtzugkonfigurationen angeht, setzen wir einen neuen Standard für das Reisen mit der Bahn. Das „Sleep in Motion“-Konzept zeigt unsere Fähigkeit, zukunftsorientierte Lösungen zu liefern, die sowohl den Bedürfnissen der Passagiere als auch den betrieblichen Herausforderungen gerecht werden. Unser Design verbessert den Komfort und die Privatsphäre, ohne die Kapazität zu verringern. Wir glauben, dass dieses Konzept ein echter Wendepunkt für den Nachtzugsektor ist, da es das Bahnfahren umweltfreundlicher und nachhaltiger macht. Derzeit bieten wir diese Lösung aktiv unseren Kunden an. Nachtzüge sind ein wichtiger Beitrag zur Dekarbonisierung des Verkehrssektors und bieten eine umweltfreundliche Alternative, die die Reisezeit weniger störend macht. Allerdings sind die aktuellen Nachtzugflotten veraltet, bieten nicht genügend Komfort, zu wenig Privatsphäre und eine beengte Atmosphäre. Bestehende Optionen wie 6-Bett-Abteile maximieren die Kapazität, beeinträchtigen jedoch den Komfort, während 4-Bett-Abteile ein angenehmeres Erlebnis bieten, jedoch die Raumeffizienz verringern und die Kosten erhöhen. Unser neues Konzept, das kürzlich patentiert wurde, geht diese Herausforderungen mit einem revolutionären Design an. Es umfasst optimierte Bettgeometrien, einschließlich nicht-rechteckiger Schlafplätze, die eine komfortable Schlafposition und Bewegungsfreiheit ermöglichen, ohne die Kapazität zu reduzieren. Die Kabinen sind in Doppelsätzen angeordnet und bieten zwei private Abteile mit komfortablem Zugang und einer Reihe von Funktionen, einschließlich:

  • Geräumige Matratzen (200 cm lang und bis zu 85 cm breit)
  • Ein Fenster für jeden Passagier, das auch als Notausgang dient
  • 90 cm Kabinenhöhe für mehr Komfort
  • Spezifische Gepäckaufbewahrung auf Bodenniveau
  • Handgepäckraum innerhalb der Kabine für zusätzliche Sicherheit
  • Beleuchtung, Steckdosen und andere Merkmale für hohen Komfort

Wie sehen Sie die Zukunft der Eisenbahnindustrie in den nächsten zehn Jahren und welche Rolle wird die Škoda Group in dieser Zukunft spielen?

Die Vision der Eisenbahnindustrie hängt von den heute realisierten oder vorbereiteten Großinvestitionen ab. Für mich steht fest, dass der Schienenverkehr das Kernverkehrsmittel bleiben wird und sogar das nachhaltigste. In zehn Jahren werden wir uns von Diesel verabschiedet haben und den vollständigen elektrischen Schienenverkehr ohne fossile Ressourcen nutzen. Dies wird nur funktionieren, wenn die Produktion erneuerbarer Energien weiterhin ein zentrales Investitionsgebiet bleibt und Eisenbahnunternehmen nur grüne Energie verwenden. Für weiteres Wachstum müssen Investitionen und die Bereitschaft zur Bereitstellung von Garantien durch die Staaten fortgesetzt werden. Der Markt wird in zehn Jahren viel liberalisierter sein und wir werden nicht nur Staatsbahnen in anderen Ländern haben, sondern auch viel mehr private Betreiber und Kunden für uns. Ich sehe auch die Notwendigkeit, faire und transparente Preise für die Infrastruktur anzubieten, und alle begonnenen Infrastrukturprojekte, einschließlich ETCS, werden bis 2035 weit fortgeschritten sein. Der Verkehr wird der Hauptbeitrag zur CO2-Reduktion sein und die Anforderungen an das Rollmaterial werden weiter standardisiert. Die Rolle von Škoda Group oder anderen mittelständischen OEMs wird sich ändern und sie werden eine Schlüsselrolle bei der Herstellung des standardisierten Rollmaterials spielen, während andere Marktteilnehmer sich auf komplexe und große Rollmaterialprogramme, Dienstleistungen, Infrastruktur und digitale Lösungen für den Betrieb konzentrieren werden. Die Trends sind schon heute sichtbar. Vergessen wir nicht, dass der Eisenbahnmarkt nie so vielversprechend war und es auch im nächsten Jahrzehnt bleiben wird. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine größere und zunehmend wichtige Rolle in dieser Entwicklung spielen werden.

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