Clemens Först: „2023 für den Güterverkehr kein leichtes Jahr“

Okt 3, 2023 | Interviews

Clemens Först bei uns im Gespräch über herausfordernde Zeiten. Energiepreise, Krieg in Europa, Generationenwechsel bei den ÖBB und Wünsche an die europäische Bahnpolitik.

Der Fachkräfte- und Personalmangel beschäftigt die ganze Wirtschaft, gerade bei der Eisenbahn kommt auch noch ein Generationenwechsel hinzu. Wie geht es der ÖBB Rail Cargo mit der aktuellen Personalsituation, und wo fehlen Mitarbeiter:innen?

Wir haben einen hohen Bedarf an neuen Kolleg:innen. Insgesamt arbeiten bei den ÖBB 42.600 Mitarbeiter:innen bei Bus und Bahn sowie zusätzlich rund 2.000 Lehrlinge in 130 verschiedenen Berufsbildern. Bis 2028 werden wir als ÖBB rund 18.000 neue Kolleg:innen aufnehmen. Das ist unter anderem bedingt durch den Generationenwandel. Dadurch werden sich also rund 40 % der gesamten Belegschaft verändern. Uns sind diese Entwicklungen schon lange bewusst, daher wurde die Ausbildung und die Personalsuche im vergangenen Jahrzehnt forciert. Jedes Jahr suchen wir rund 3.000 neue Mitarbeiter:innen für unsere zukunftsfitten Jobs mit Sinn. Wir bieten umfassende Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexible Arbeitszeitmodelle, vielfältige Aufstiegschancen, Gesundheitsmanagement und vieles mehr an.

Konkret bei der ÖBB Rail Cargo Group gibt es viele internationale Jobmöglichkeiten – mit unserer Präsenz in 18 Ländern verbinden wir Menschen, Unternehmen und Märkte. Besonders gefragt sind im Bereich der Logistik Mitarbeiter:innen in der operativen Kundenbetreuung oder im Produktmanagement. Außerdem suchen wir aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung laufend Mitarbeiter:innen im IT-Bereich.

Die letzten Jahre waren durch Krisen geprägt: Corona, Ukrainekrieg, Inflation und steigende Energiepreise. Wie ist die Güterverkehrssparte der ÖBB aus der Krise gekommen und wo liegen aktuell die größten Herausforderungen?

In all den multiplen Krisen, die wir in den vergangenen Jahren zu bewältigen hatten und haben, hat sich nicht nur für uns, sondern auch für die Gesellschaft, die Politik und vor allem für das Klima eines gezeigt: Die Bahn ist versorgungs- und systemrelevant. Das konnten wir als Güterverkehrsunternehmen mehrfach unter Beweis stellen. Trotz aller Herausforderungen haben wir die Warenströme am Laufen gehalten.

Operativ haben wir gelernt, noch flexibler auf veränderte Logistikströme zu reagieren, mehr auf verschiedene Lieferquellen zu setzen und die Abhängigkeit von einzelnen Routen und Lieferanten zu reduzieren. Strukturell haben wir zum Beispiel mit Gesellschaftsgründungen in Serbien und China reagiert, um im ersten Fall eine Alternativroute in die Türkei in Eigentraktion anbieten zu können und im zweiten Fall, um vermehrt in den Aufbau des Mittelkorridors nach China zu investieren.

Eine Folge der Krisen, die wir nach wie vor spüren, ist auf jeden Fall der überdurchschnittlich hohe Strompreis. Während der Dieselpreis wieder auf dem Vorkrisenniveau ist, haben wir bei den Strompreisen noch immer gigantische Steigerungen. Das macht uns den ohnehin unfairen Wettbewerb mit dem Lkw nicht leichter.

Sie haben es bereits angesprochen: die Energiepreise – welche Auswirkungen hatte das auf den Schienengüterverkehr in Österreich und Europa, und wie ist die Lage nun Ende 2023?

Im österreichischen Markt lag der Strompreis vor der Krise bei etwa 60 Euro. Im Jahr 2023 liegen wir nun bei rund 210 Euro. Das ist im Vergleich zum Vorkrisenniveau mehr als das Dreifache und selbst im Vergleich zum letzten Jahr mehr als das Doppelte. Die Dieselpreise lagen in Österreich zu Jahresbeginn 2022 bei 1,40 Euro. Jetzt sind wir bei 1,70 Euro – etwas mehr als 20 Prozent. Das ist ein immenser Unterschied für uns.

2023 ist für den Güterverkehr insgesamt sicher kein leichtes Jahr. Neben den hohen Stromkosten kommt dazu, dass die produzierende Wirtschaft schwächelt und Lkw-Kapazitäten daher verfügbar sind. Das führt zu einer Rückverlagerung auf die Straße. Und das können wir uns als Gesellschaft klimatechnisch nicht leisten. Daher setzen wir schon lange viele Maßnahmen, um dem gegenzusteuern.

Wir richten uns stark auf den Markt aus und fragen uns, welches Angebot auf gute Resonanz stößt. Daher hat das Thema Internationalisierung für uns große Bedeutung – hier spielt der Schienengüterverkehr seine Stärken aus. Heuer haben wir in Serbien und China neue Tochtergesellschaften gegründet. Intern arbeiten wir permanent daran, unser Produktionsnetzwerk zu optimieren und resilient zu gestalten. Beispielsweise bieten wir jetzt über Serbien eine Alternativroute zu Rumänien in die Türkei an. Angesichts der zunehmenden Störungen im Netz richten wir über entsprechende Lokomotiven und Lokführer:innen, die die Streckenkenntnis haben, immer mehr Umleitungen ein. Diese Resilienz, die beim Lkw normal ist, müssen wir uns im Schienensektor hart erarbeiten.

Das Thema multimodale Logistik spielt eine zunehmend bedeutende Rolle: Hier versuchen wir Unternehmen zu Kunden zu machen, die keinen eigenen Gleisanschluss haben. Deshalb arbeiten wir auch mit Transporeon zusammen, dem Marktführer unter den Vergabeplattformen für Lkw, und bieten nun auch dort auf Pilotstrecken die einfache Buchung von Bahn- und Intermodal-Transporten von der ersten bis zur letzten Meile an.

Was würden Sie sich als Güterverkehrsunternehmen von der europäischen Bahnpolitik in der aktuellen Situation wünschen?

In Europa liegt der Modalanteil der Schiene bei 18 %, in Österreich bei rund 28 %, da sieht man den Effekt von jahrzehntelanger, nachhaltiger Verkehrspolitik in Österreich. Wir sind als ÖBB Rail Cargo Group Mitglied von RFF (Rail Freight Forward), einer Koalition europäischer Güterbahnen mit dem Ziel, den Modalanteil in Europa auf 30 Prozent zu heben. Dafür gibt es drei wesentliche Voraussetzungen: Eisenbahnverkehrsunternehmen müssen ihre Hausaufgaben machen, um schneller, moderner und kundenzentrierter zu werden. Neben fairen Wettbewerbsbedingungen und einer Kostenwahrheit zwischen Schiene und Straße benötigt es eine europaweit koordinierte, leistungsfähige Infrastruktur. Einen Zug durch Europa zu fahren muss so einfach sein, wie einen Lkw. Dafür brauchen mehr Europa und weniger nationale Regelegungen.

Was ist Ihre Vision wie sich unser Verkehrs- und Transportsystem bis 2050 entwickeln wird, und welche Rolle nimmt die Bahn dabei ein?

Die ÖBB Rail Cargo Group ist führender Bahnlogistiker in Europa und nachhaltiges logistisches Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Dafür investieren wir in die Zukunftsfähigkeit des Schienengüterverkehrs. Das Ziel ist, das System Schiene grundlegend zu transformieren. Neben höherer Effizienz und Flexibilität sollen vor allem der Zugang zum System Schiene vereinfacht und damit auch neue Kundengruppen erschlossen werden – all dies stets mit den Klimazielen vor Augen.

Im Zuge dessen treiben wir die Digitalisierung und Innovationen im Schienengüterverkehr weiter voran. Eine absoluter Gamechangerin wird hier die Digitale Automatische Kupplung sein, die die Schraubenkupplung nun auch in Europa endlich ablösen wird.

Unsere erklärten Ziele innerhalb des Unternehmens sind: Abläufe zu automatisieren, sie einfacher und schneller zu gestalten und analoge, aufwändige und teure Prozesse durch digitale Lösungen zu ersetzen, um in den Bereichen Kosten, Transparenz und Effizienz besser zu werden.

Das Kundensegment, das die RCG in den kommenden Jahren noch stärker ansprechen will, sind mittelständische Kunden, die Sendungsgrößen von einem Container bis hin zu einer Wagengruppe haben. Denen will man attraktive integrierte Tür-zu-Tür-Lösungen von der ersten bis zur letzten Meile anbieten. Das kann intermodal geschehen oder auch als konventioneller Transport mit Umladung auf einen Lkw im Vor- und Nachlauf. Das ist der primärer Wachstumsfokus der RCG für die Zukunft. Der Kunde muss dabei nicht zwingend einen eigenen Bahnanschluss haben.

Für 2050 wünsche ich mir, dass wir noch mehr Güter auf die Schiene gebracht haben, dass wir die Klimaziele erreicht haben und sich auch unsere Kinder auf eine lebenswerte Zukunft freuen können.

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