Frank Michelberger ist Leiter des Departments Bahntechnologie und Mobilität an der Fachhochschule St. Pölten. Im September 2025 startet mit dem neuen Bachelorstudiengang Schienenfahrzeugtechnologie ein in mehrfacher Hinsicht neues Angebot. Zum einen gibt es kein vergleichbares Studium, das sich dem gesamten Lebenszyklus von Schienenfahrzeugen widmet – zum anderen wird mit der dualen Organisationsform die Bahnbranche eingeladen, die akademische Ausbildung mitzugestalten. Ein Teil des Studiums findet nämlich direkt in den Unternehmen statt.
Eisenbahn.Blog: Der Bahnbranche fehlen Fachkräfte – was kann eine Hochschule da tun?
Frank Michelberger: Wie alle Akteure müssen auch wir in unserem Wirkungsbereich Antworten auf Themen der Zeit geben. Das heißt, wir sehen einerseits Bedarfe aus dem Sektor und andererseits Bedürfnisse der jungen Menschen, unserer potenziellen Studierenden. Wir müssen also schnell agieren, um neue Entwicklungen inhaltlich abzubilden, z.B. konkrete Fragen zu Digitalisierung, Automatisierung, Nachhaltigkeit, UND die Lebensmodelle und Ziele der jungen Menschenanzusprechen, die sich größtmögliche Freiheit und Flexibilität wünscht. Gleichzeitig sehen wir aber in einer sich verändernden Welt das große Bedürfnis nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, die immer mehr in der Bahnbranche gesehen wird. Das ist eine große Chance, wo wir als Hochschule mithelfen können, so dass sprichwörtlich immer mehr junge Menschen auf diesen Zug aufspringen.
Eisenbahn.Blog: Österreich ist stolz auf seine Bahnbranche und hat auch gute akademische Ausbildungen dafür – braucht es wirklich neue Angebote?
Frank Michelberger: Eine akademische Ausbildung kann zwei Zieldimensionen erfüllen: Systemverständnis oder fachliche Vertiefung. In einem dreijährigen Bachelor- oder einem zweijährigen Masterstudium muss man sich auf eines fokussieren. Die Technischen Universitäten bieten hervorragende fachlich und technisch hoch spezialisierte Studienmöglichkeiten. An der FH St. Pölten vermitteln wir seit 2008 im Bachelor Bahntechnologie und Mobilität das Systemverständnis – und haben uns damit sehr erfolgreich positioniert.
Die große Nachfrage nach unseren Studienplätzen ist sicher auch durch die steigende Attraktivität der Bahn und die steigende Nachfrage nach dem Verkehrsmittel Bahn begründet. Ein bedeutender Engpassfaktor bei der Weiterentwicklung der Bahn ist jedoch auch die Verfügbarkeit und technische Ausrüstung von Fahrzeugen.
Eisenbahn.Blog: Dafür braucht es einen eigenen Studiengang für Schienenfahrzeuge?
Frank Michelberger: Wir positionieren den neuen Bachelor Schienenfahrzeugtechnologie in dem Bereich, wo wir gut sind: Wir wollen Systemverständnis für die Fahrzeuge (z.B. Anforderungen, Bau, Betrieb, Instandhaltung) und Verständnis des Lebenszyklus von Schienenfahrzeugen schaffen. Ein Schienenfahrzeug hat durch die lange Lebensdauer mehrere „Leben“ und weit mehr Menschen haben in den Jahrzehnten des Betriebs, der Instandhaltung oder des Upgrades mit den Fahrzeugen zu tun als im eigentlichen Bau.
Dadurch, dass im Studium alle Phasen dieses Lebenszyklus behandelt werden, können sich die Absolvent:innen sehr gut in verschiedene Rollen hineinversetzen. Arbeite ich z.B. bei einem Hersteller, weiß ich durch das Studium sehr genau, welche Anforderungen einem Besteller eines Fahrzeugs wichtig sind. Arbeite ich bei einem Eisenbahnverkehrsunternehmen, kenne ich die Herausforderungen von Herstellern oder Werkstätten sehr gut. Im Sinne der gemeinsamen Arbeit im Gesamtsystem ist das sehr wichtig.
Die Schienenfahrzeugbranche hat in Österreich und in Deutschland eine große Bedeutung als Wirtschaftszweig und Innovationsmotor – der Bedarf an gut ausgebildeten jungen Systemverstehern ist also da. Die erfreuliche Nachfrageentwicklung in unseren bisherigen Studiengängen zeigt uns klar, dass die Bahnbranche mehr und mehr als Zukunftsbranche erkannt wird. Wir freuen uns umso mehr, dass das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung diesen Bedarf ebenso sieht und ab 2025 jährlich 20 Studienplätze für den neuen Bachelor Schienenfahrzeugtechnologie finanziert. In den letzten Monaten haben wir gemeinsam mit Vertreter:innen der Branche in intensiver Arbeit das Curriculum erstellt und vor Weihnachten zur Akkreditierung bei der Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria eingereicht. Die Bewerbung für das Studium ist schon möglich.
Eisenbahn.Blog: Neu ist ja die duale Organisation – was kann man sich unter einem dualen Studium vorstellen?
Frank Michelberger: Der Ansatz des dualen Studiums ist, durch die Verschränkung Studium & Job einerseits ein maximal praxisorientiertes Studium zu ermöglichen, aber auch, jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, während des Studiums schon einen Job mit Sinn auszuüben.
Für Unternehmen heißt das, sie haben produktive Mitarbeiter:innen, die berufsbegleitend studieren und sich einen Teil der Tätigkeit im Unternehmen als Studienleistung anrechnen lassen können.
Vom dritten bis zum sechsten Semester bearbeiten die Studierenden jeweils duale Projekte mit Themenstellungen aus dem Unternehmen und Methoden aus dem Studium. Dafür gibt es vier Schwerpunkte von einer Stakeholderanalyse, über Projektmanagement, einer Prozessanalyse, bis hin zu Problemlösungskompetenz und Innovation. Angeleitet werden die Studierenden dabei von Betreuer:innen der FH und auf inhaltlicher Ebene von Betreuer:innen der Unternehmen.
Studierende, die zu Studienbeginn noch keinen Job haben, haben ein Jahr Zeit, sich für ein Unternehmen zu entscheiden. Wir helfen dabei z.B. mit der jährlichen Firmenmesse der Bahnbranche bei uns im Haus, wo die Top-Unternehmen der Branche ihre Jobmöglichkeiten präsentieren.
Eisenbahn.Blog: Studium und Job – wie ist das vereinbar?
Frank Michelberger: Das Studium ist berufsbegleitend organisiert, das heißt, dass der Präsenzunterricht in St. Pölten an Wochenenden freitags und samstags und in zwei Intensivwochen je Semester stattfindet. Es hat sich gezeigt, dass das auch sehr attraktiv für Studierende aus Deutschland und der Schweiz ist – nicht zuletzt, weil St. Pölten mit Tag- und Nachtzugverbindungen optimal erreichbar ist. Manche deutsche Studierende sagen uns, dass sie das Studium bei uns besser mit dem Job vereinbaren können als ein Vollzeit-Studium in Deutschland.
Eisenbahn.Blog: Ist das Studium auch für die Weiterqualifizierung bestehender Mitarbeiter:innen interessant? Kann z.B. auch ein:e Schweißtechniker:in mit Berufsausbildung aber ohne Matura/Abitur studieren, um dann weiter aufsteigen zu können?
Frank Michelberger: Ja, so etwas empfehlen wir sogar sehr! Die Kombination aus facheinschlägiger Berufsausbildung, ein paar Jahren Berufserfahrung und späterem Studium ist ideal, um dann als Führungskraft das so wichtige umfassende Bild von strategischen Überlegungen bis zur Umsetzung an der Werkbank zu haben. Für diesen Quereinstieg ohne Matura oder Abitur werden Vorbereitungskurse angeboten.
Eisenbahn.Blog: Das klingt nach einigen Vorteilen für Studierende. Aber: bringt das duale Studium auch den Unternehmen was?
Frank Michelberger: Auf jeden Fall! Unsere Partnerunternehmen haben durch die enge Zusammenarbeit mehrere Vorteile. In den dualen Phasen des Studiums bearbeiten die Studierenden Fragestellungen aus den Unternehmen – das ist somit produktive Zeit im Unternehmen. Dabei fließen Erkenntnisse aus dem Studium ein und ermöglichen dem Unternehmen neue Zugänge zu bestehenden Herausforderungen. So beschäftigt sich ein duales Projekt mit Design Thinking & Innovation.
Spätestens ab dem dritten Semester arbeiten die Studierenden als reguläre Mitarbeiter:innen zumindest Teilzeit in den Unternehmen. Das Präsenzstudium an der FH St. Pölten ist berufsbegleitend organisiert – das ist ein sehr bewährtes jobverträgliches Modell.
Die Unternehmen finden dadurch einen Pool potenzieller neuer Mitarbeiter:innen für ihr Recruiting. Wir bieten mit unserer Firmenmesse eine Plattform, bei der in lockerer Atmosphäre über Fachliches und über Jobs gesprochen werden kann. Am 28. März 2025 gehen wir bereits in die 10. Runde dieses wichtigen Branchentreffs an der FH St. Pölten. Unternehmen, die dazu mehr wissen möchten, können sich sehr gerne bei uns melden.