Nachtzug: #ZukunftBahn made in Austria!

Sep 3, 2020 | Innovation, Personenverkehr

Nachtzüge waren ein Auslaufmodell. Viele europäische Bahnunternehmen, wie die SBB, die SNCF, Renfe, Trenitalia und auch die Deutsche Bahn, haben ihre Nachtzugnetze in den letzten Jahren ausgedünnt oder sogar ganz eingestellt. Lediglich die ÖBB haben weiter investiert und sogar einige Nachtzugstrecken der Deutschen Bahn übernommen. Rund um die Marke ÖBB Nightjet hat sich ein wahrer Boom entwickelt.
Doch woran liegt das, was sind die Hintergründe und wer steigt jetzt in das Nachtzuggeschäft wieder ein?


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ÖBB Nightjet geht an den Start

Zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2016 übernahmen die ÖBB von der Deutschen Bahn 6 Nachtzuglinien und die neue Marke für Nachtreisezüge, Nightjet (NJ), ging an den Start.
Seit diesem Tag sind die ÖBB der größte Nachtzuganbieter Europas und das Streckennetz erstreckt sich über Österreich, Deutschland, die Schweiz und Italien. Gemeinsam mit Partnern betreiben die ÖBB auch Nachtzüge in Kroatien, Rumänien, Ungarn, Polen, der Slowakei, Slowenien und Tschechien.

Quelle: ÖBB / https://www.nightjet.com/de/reiseziele

Warum sich die ÖBB, im Gegensatz zu vielen anderen großen Bahnunternehmen, dafür entschieden haben, den Nachtzug nicht nur zu behalten, sondern das Angebot noch auszuweiten, erklärte der ÖBB Konzernsprecher Bernhard Rieder in einem Gespräch mit mir: „Der Nachtzug ist eine Nische. Besonders in Deutschland war der Nachtverkehr zum restlichen Verkehr sehr unbedeutend. In Österreich dagegen war der Nachtverkehr im Verhältnis immer stärker und wichtiger. Durch das Geschäft mit dem Nightjet kommen wir auf unsere Kosten und schreiben positive Zahlen, jedoch reich werden wir dadurch nicht. Warum wir das Nightjet Produkt anbieten können ist, weil wir relativ günstig produzieren können. Unser Konzept ist ja, dass wir Linien in bestimmten Bereichen bündeln und dann neu zusammenstellen. Zum Beispiel je einen Zugteil aus Düsseldorf und einer aus Hamburg werden in Nürnberg in zwei Züge zerlegt, wobei ein Zug nach Wien und einer nach Innsbruck fährt, mit jeweils einem Düsseldorfer und einem Hamburger Teil. So können wir sehr viele Verbindungen mit geringeren Kosten produzieren.
Der Einstieg in das Nachtzuggeschäft in Deutschland war ein sehr großer Schritt. Wir haben unser Netz mit der Übernahme der deutschen Linien fast verdoppelt.

Außerdem ist die Lage Österreichs als Ausgangspunkt vieler Nachtzugverbindungen der ÖBB entscheidend für den Erfolg. Denn viele europäische Wirtschaftszentren sind nur eine Nachtreise entfernt (Norditalien, Schweiz, Hamburg) und dies sorgt schonmal für eine gute Auslastung. Mit saisonalem Tourismus sind Auslastung und Umsatz für die ÖBB insgesamt in einem annehmbaren Bereich.

Ein wahrer Boom hat sich entwickelt

Durch gutes Marketing, vernünftige Preise und ein doch recht großes Angebot in Europa entwickelt sich ein wahrer Boom rund um den Nightjet.
Zumal natürlich die Nachfrage nach Nachtzügen schon immer da war. Dies bestätigt mir auch der ehemalige Nachtzugbegleiter und Nachtzugaktivist Joachim Holstein: „… man wusste, dass die Fahrgastzahlen stiegen; man kannte den Bedarf – aber man hat ganz offen verkündet, dass man den Nachtverkehr abschaffe, weil der Tagverkehr einen hohen Finanzbedarf habe.“

Ähnlich sieht es auch Dirk Flege, Geschäftsführer von Allianz pro Schiene: „Es waren nicht die Kunden, die dem Nachtzug ferngeblieben sind. Es fehlte der politische Rückenwind und unternehmerischer Kreativgeist. Daraus lässt sich doch nur eines schließen: Die Menschen würden Nachtzug fahren, wenn es moderne und bezahlbare Nachtzugnetze gäbe. In meiner Vision vom Europa 2050 ist nachts auf den Schienen genauso viel los wie am Tag: Wir reisen, während wir schlafen und wachen jeden Morgen in einer anderen Stadt auf. Den Menschen würde das gefallen.“

Somit war schon der Start des ÖBB Nightjets ein voller Erfolg.
Vom Beginn des Nightjetkonzepts im Dezember 2016 bis Mitte April 2017 haben die ÖBB 600.000 Tickets verkauft und lagen somit laut eigenen Angaben über der Planung. Der Nightjet ist außerdem ein großer Treiber des Fahrgastrekords (244.000.000 Fahrgäste 2016) der ÖBB gewesen. [note] Vgl.: https://www.pressreader.com/austria/kurier/20170428/281689729706589 zugegriffen am 29.05.2017 [/note]
 
Rasch wurden auch neue Halte sehr gut angenommen, wie zum Beispiel im kleinen Städtchen Rosenheim, wo man auch nach wenigen Tagen über den erwarteten Passagierzahlen lag. [note] Vgl.: https://www.rosenheim24.de/rosenheim/rosenheim-stadt/rosenheim-ort43270/rosenheim-halt-oebb-nightjets-rosenheim-angelaufen-8308961.html zugegriffen am 3.09.2017 [/note]
So begrüßten die ÖBB im Jahr 2017 1,4 Millionen Fahrgäste in den Nachtzügen, im Jahr 2018 waren es schon 1,6 Millionen.
Im Dezember 2018 kam eine neue Strecke hinzu: der Nachtzug zwischen Berlin und Wien und mit Jänner 2020 folgte die neue Verbindung Wien-Brüssel.

ÖBB Sprecher Bernhard Rieder zur Expansion auf dem deutschen Bahnmarkt: „Wir sind auch zwei Jahre nach der Übernahme des Nachtzugverkehrs überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben…So konnten wir zweimal hintereinander die Strecken Richtung Deutschland ausbauen.“ [note] Vgl.: https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/nightjet-nachtzuege-der-oebb-erfolgreich-a-1246563.html zugegriffen am 21.08.2019 [/note]

Der Nachtzug als Klimaschützer

Die Bahn ist ein wichtiger Partner in Sachen Klimaschutz.
Hier hat auch der Nachtzug eine zentrale Rolle – vor allem im Wettkampf gegen den Flieger. Denn längere Distanzen kann man in einem Nachtzug oftmals komfortabler oder ansprechender überwinden als im Tagverkehr.
Gerade in Zeiten, wo sich der gesellschaftliche und politische Diskurs ändert und Themen wie Umwelt und Klima mehr ins Zentrum rücken, steigt auch die Nachfrage nach der Bahn im allgemeinen und so eben auch die Nachfrage nach dem Nachtzug. Auch die Jugend nutzt gerne, vor allem international, die Bahn, zum Beispiel mit Interrail, wo der Nachtzug wiederum eine bedeutende Rolle einnimmt. Zudem haben zahlreiche Organisationen und NGOs, die sich für Klimaschutz sowie Verkehrswende einsetzen und vor allem auch junge Menschen mobilisieren, beispielsweise Fridays4Future und das Klimavolksbegeheren, den Trend hin zum Nachtzug weiter verstärkt.

Auch jetzt nach Corona, wo über alle Verkehrsträger hinweg die Fahrgastzahlen eingebrochen sind, freut sich der ÖBB Nightjet bereits über mehr als 90 % Auslastung – in Zeiten der Pandemie wollen die Menschen (verständlicherweise) nicht im Flugzeug sitzen und nutzen sehr gerne den Schlafwagen.

Die Expansion geht weiter!

Um die oben erwähnten Entwicklungen weiter zu nützen und zu unterstützen, investieren die ÖBB kräftig in die Zukunft des Nachtzuges. Bereits jetzt sind 13 neue Nachtzuggarnituren in der Fertigung bei SiemensMobility, die ab 2022 auf Europas Schienen unterwegs sein werden. Jetzt hat die österreichische Bundesregierung zusätzlich 500 Millionen Euro bereitgestellt für nochmal 20 weitere Nachtzüge, die dann ab 2024 unterwegs sein werden. Mit den insgesamt 231 neuen Schlaf-, Liege- und Sitzwagen werden somit Komfort, Sicherheit und Kapazitäten weiter gesteigert und der ÖBB Nightjet noch attraktiver.

von links: ÖBB Generaldirektor Andreas Matthä, ÖBB PV Vorständin Michaela Huber, österr. Verkehrsministerin Leonore Gewessler

Aber nicht nur neue Garnituren, auch neue Strecken kommen hinzu: Bereits ab dem Fahrplanwechsel im Dezember nimmt die ÖBB Amsterdam ins Streckennetz mit auf– durch die neuen Garnituren kann es dann auch sein, dass es wieder einen  Nachtzug von Wien nach Paris gibt.

Aber nicht nur die ÖBB erkennen den Trend, mittlerweile wird auch bei anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen das Interesse geweckt. So hat die SBB kürzlich eine Ausschreibung für die Miete von Nachtzuggarnituren gestartet. Der Ausschreibung ist zu entnehmen, dass die SBB von RDC Deutschland Nachtzugwagen mietet.  Auch RDC ist im Feld der Nachtzugverbindungen in Europa kein Unbekannter und hat den Trend erkannt. Dieses Unternehmen betreibt unter anderem den Autozug von Lörrach nach Hamburg unter der Marke ‚BahnTouristikExpress‘ und den im Sommer 2020 gestarteten ‚AlpenSyltExpress‘ zwischen Salzburg und Sylt.[note] Vgl.: https://rideable.ch/nachtzuge-sbb-mietet-wagen-fur-neue-strecken/ [/note]

Neben RDC sind auch noch andere private Anbieter im Nachtzuggeschäft unterwegs, wie beispielsweise RegioJet zwischen Prag und Košiceoder auf der Achse Prag-Bratislava-Ljubljana-Rijeka.
Sogar die Deutsche Bahn prüft, 4 Jahre nach Ende der City Night Line,  wieder einen Einstieg ins Nachtzuggeschäft.
„Der Zeitgeist“ spreche für eine Renaissance der Nachtzüge als europäisches Netzwerk und klimafreundlicher Transport, glaubt der Deutsche Bahn Vorstandsvorsitzende, Richard Lutz. Man will aber in jedem Fall mit Partnern agieren. So befindet sich die DB in Gesprächen mit ÖBB und SBB.

Die Herausforderung im Nachtzuggeschäft ist, dass es kaum verfügbares Rollmaterial gibt und dass man das nötige Kleingeld und einige Jahre Wartezeit benötigt, um neue Garnituren auf Schiene zu bringen. Dies ist selbst für große Staatskonzerne eine Herausforderung, aber vor allem für kleinere oder neue Player am Markt. Durch die Investitionen der ÖBB kommt es in Mitteleuropa zu starken Kapazitätssteigerungen beim Nachtzug.

Trotz Nachfrage sind viele Bahnunternehmen aus dem Nachtzuggeschäft ausgestiegen oder haben sich stark zurückgezogen. Durch Marketing und ständige Angebotsadaptierungen haben die ÖBB ein wahres Erfolgsprodukt kreiert. Jetzt wird auch das Interesse bei anderen Bahnen wieder größer, hier einzusteigen😉. In jedem Fall eine erfreuliche Entwicklung!

Ich denke, vor allem für den Klimaschutz ist es wichtig, das Angebot im transeuropäischen Fernverkehr auszuweiten und hier hat der Nachtzug definitiv eine zentrale Rolle.
Für den Nachtzug wäre politischer Rückenwind sehr wichtig, da man hier meist am Rande des betriebswirtschaftlichen Rahmens unterwegs und auf kleine Kostenveränderungen sehr anfällig ist.
Das bestätigt auch Klaus Garstenauer, Vorstand ÖBB Personenverkehrs AG, in einem Gespräch mit mir: „Wirtschaftlich wird der Nachtzug aber immer an der Grenze von Sein und Nichtsein unterwegs sein, d. h. sehr empfindlich gegen externe Effekte wie Steigerung der Trassenentgelte und dergleichen.“ 

Österreich zeigt hier vor, wie es gehen kann: 500 Millionen Euro wurden für neue Nachtzuggarnituren bereitgestellt und ab 2024 werden Nachtzüge jährlich mit 10 Millionen Euro subventioniert werden. Gleichzeitig macht man durch eine Anpassung der Flugticketabgabe und Kurzstreckenverbote den (Nacht-) Zug gegenüber dem Billiglieger konkurrenzfähiger.

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