Barbara Laa: „Eine menschengerechte Stadt ist günstiger als eine autogerechte Stadt und bringt auch einen höheren volkswirtschaftlichen Nutzen!“

Jun 30, 2020 | Interviews, Personenverkehr

Platz für Wien ist eine ehrenamtliche zivilgesellschaftliche Initiative, die eine klima- und menschengerechte Verkehrspolitik für Wien fordert.
Ich konnte mit Barbara Laa, Sprecherin Platz für Wien und Expertin der TU Wien, unter anderem über die Forderungen der Initiative, die Herausforderungen in der Umsetzung und die Rolle des öffentlichen Verkehrs in einer menschengerechten Stadt sprechen.


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Barbara Laa

Kannst Du kurz einen Überblick geben: Was sind die zentralen Forderungen der Initiative Platz für Wien?

Kurz gesagt fordern wir eine klimagerechte, verkehrssichere Stadt mit hoher Lebensqualität durch eine gerechtere Aufteilung der Flächen im öffentlichen Raum – mehr Platz für das Zufußgehen, Radfahren und Bäume. Dazu haben wir 18 ganz konkrete Forderungen formuliert, die bis 2030 umgesetzt werden sollen. Die Forderungen kann man auf unserer Website nachlesen (www.platzfuer.wien). Wir haben sie in fünf Bereiche gegliedert: Attraktive Straßen zum Gehen und Verweilen, Sicher Mobilität für Kinder, Durchgängige und sichere Radinfrastruktur, Sichere Kreuzungen und Multimodalität durch attraktives Umsteigen.

Warum ist es wichtig, dass unsere Stadt umgestaltet wird und der Platz neu aufgeteilt wird?

Derzeit gibt es ein starkes Missverhältnis der Flächen im Straßenraum. Zwei Drittel sind quasi für den Autoverkehr reserviert während Radwege nur 1% der Fläche ausmachen und Gehsteige oft schmäler als 2 Meter sind. Somit wird der Autoverkehr gefördert und nachhaltige Mobilitätsformen werden benachteiligt. Und das obwohl nur etwa ein Drittel der Wiener*innen ein Auto besitzt.

Wir befinden uns aktuell nicht nur in einer Pandemie sondern auch mitten in der Klimakrise. Die Treibhausgase aus dem Verkehrsbereich zählen zu den größten Umweltbelastungen in Wien. Verkehrspolitik die den Autoverkehr weiter fördert beeinträchtigt zudem die Sicherheit und Lebensqualität der Stadtbewohner*innen. Viele haben Angst davor im Straßenverkehr mit dem Rad zu fahren, jedes Jahr werden immer noch Menschen durch Autos verletzt und getötet, Kinder und ältere Personen können sich nicht sicher und selbstständig in der Stadt bewegen, da der Straßenraum nicht nach ihren Bedürfnissen gestaltet ist.

Welche Maßnahmen sind schnell umsetzbar, haben aber großen Impact?

Schnell umsetzbar, kostengünstig und wirksam sind beispielsweise Tempolimits. Wir fordern auf zusätzlich 800 km Straßen maximal Tempo 30 zu verordnen. Das reduziert den Anhalteweg von Kfz sowie die Unfallwahrscheinlichkeit und die Unfallschwere deutlich. Dazu werden für den Fuß- und Radverkehr die Querungsmöglichkeiten vereinfacht und das Radfahren im Mischverkehr verbessert. Zusätzlich reduziert sich der Lärm, was die Lebensqualität der Anwohner*innen steigert.

Die Errichtung von Radabstellanlagen, Sitzgelegenheiten und Einbahnen für das Radfahren zu öffnen sind ebenfalls schnell und kostengünstig umsetzbar. Bauliche Maßnahmen dauern länger und sind mit deutlich mehr Kosten verbunden, daher haben wir ja auch ein 10-Jahresprogramm definiert. Hier könnte man aber auch einiges mit temporären Maßnahmen à la „tactical urbanism“ schnell ausprobieren, zum Beispiel Pop-Up Radwege die derzeit auch in Wien entstehen.

Welche Rolle nimmt der Öffentliche Verkehr in Euren Forderungen ein? Und welche Rolle nimmt der ÖV in einer modernen und menschengerechten Stadt ein?

Wir haben hier eine klare Grenze gezogen und stellen keine expliziten Forderungen an den ÖV in Wien. Einerseits weil es in der Stadt mit den Wiener Linien bereits einen sehr gut ausgebauten ÖV gibt, der auch über eine entsprechende Finanzierung verfügt und andererseits, weil unsere Forderungsliste auch ohne ÖV schon sehr lang ist.

Wir sind aber natürlich der Meinung, dass der ÖV ein sehr wichtiger Teil einer modernen und menschengerechten Stadt ist und die drei Verkehrsmittelarten des Umweltverbundes (Fuß, Rad und ÖV) zusammen gedacht werden müssen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen. Daher gibt es auch den Forderungsbereich „Multimodalität durch attraktives Umsteigen“, der vor allem die Verknüpfung der Verkehrsmittel behandelt. Derzeit werden im Straßenraum leider häufig ÖV-Haltestellen, Geh- und Radwege zusammen auf Restflächen gedrängt, während daneben mehrere Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr zur Verfügung stehen. Dadurch entstehen Engstellen, die keine ausreichenden Warteflächen aufweisen und zu Konflikten führen. Die nachhaltigen Verkehrsarten sollten sich jedoch gegenseitig ergänzen und besser miteinander verbunden werden. An größeren Haltestellen soll die Verknüpfung mit dem Fahrrad und Sharing-Angeboten ermöglicht werden. Das kann beispielsweise durch die Errichtung von Radabstellanlagen, Leihrad-Stationen, E-Scooter-Parkplätzen und Carsharing-Plätzen erfolgen.

Wo seht Ihr aktuell die (politischen) Herausforderungen bei der Umsetzung von Radwegen, Fußgängerzonen und generellen Verkehrsberuhigungen?

Eine große Herausforderung ergibt sich aus der Verwaltungsstruktur, durch die sehr viele Kompetenzen bei den Bezirken liegen. Auf Stadtebene gibt es bereits sehr gute Strategiepapiere, Zielsetzungen und Konzepte, die sich teilweise stark mit unseren Forderungen decken. Leider werden diese auf Bezirksebene aber oft nicht umgesetzt, vielleicht auch aus Budgetgründen. Wir richten unsere Petition daher an den Gemeinderat und die Bezirksvertretungen und fordern, dass auch ausreichend Budget und Personal zur Umsetzung der Forderungen zur Verfügung gestellt wird.

Wir haben auch das Gefühl, dass in der Vergangenheit oft jene am lautesten waren, die „ihren“ Parkplatz und sonstige MIV-Privilegien verteidigen wollten während die „schweigende Mehrheit“, die diese Veränderungen eigentlich gutheißt, sich nicht zu Wort gemeldet hat. Mit den Unterschriften, die wir für unsere Petition sammeln, möchten wir diese Stimmen sichtbar machen.

Geld ist in Politik und Verwaltung immer ein großes Thema: Ist eine menschengerechte Stadt teuer?

Nein. Sie ist günstiger als eine autogerechte Stadt und bringt auch einen weitaus höheren volkswirtschaftlichen Nutzen. Wir haben grob kalkuliert, dass unsere Forderungen etwa 53 €/Person/Jahr kosten. Wir sind zuversichtlich, dass dies umsetzbar ist und im Sinne der Corona-Krisenbewältigung nachhaltig eingesetztes Budget ist, das Arbeitsplätze schafft und Klimaschutz sicherstellt.

Verglichen mit anderen ambitionierten Städten befinden sich unsere Forderungen in einem ähnlichen Kostenrahmen. In den Niederlanden werden seit mehr als 40 Jahren bereits 30 €/Person/Jahr nur für Maßnahmen im Radverkehr ausgegeben. Manchester plant in Zukunft ein Budget von ca. 57 €/Person/Jahr für den Fuß- und Radverkehr. Und auch die Pariser Bürgermeisterin kündigte im letzten Wahlkampf Ausgaben von 26 €/Person/Jahr nur für das Radfahren an.

Aus diversen wissenschaftlichen Studien wissen wir auch, dass Investitionen in Geh- und Radinfrastruktur einen wirtschaftlichen Nutzen für die Stadt bringen. Im Mittel beträgt dieser 13 € für jeden investierten 1 €. Der Effekt entsteht aus der Schaffung von Arbeitsplätzen, erhöhten Umsätzen der anliegenden Betriebe und somit Steuereinnahmen sowie Einsparungen im Gesundheitsbereich durch mehr aktive Mobilität.

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Zum Abschluss noch eine wichtige Frage: Wie und wo kann man Euch unterstützen?

Da gibt es viele Möglichkeiten! Das Wichtigste ist die Unterzeichnung unserer Petition, das kann man online erledigen (hier: www.platzfuer.wien/forderungen/). Dann hilft es uns viel, wenn man von der Initiative erzählt, bei Familie, Freunden Bekannten, uns auf Social Media folgt und unsere Beiträge teilt. Auf unserer Website kann man auch eine Unterschriftenliste herunterladen, um im Bekanntenkreis selbst Unterschriften zu sammeln. Wer sehr motiviert ist kann uns auch bei den Unterschriften-Sammelaktionen auf der Straße unterstützen. Außerdem freuen wir uns über eine Spende für unsere Crowdfunding-Kampagne. Alle Infos zum Helfen und Mitmachen gibt es hier: www.platzfuer.wien/mitmachen/ Wir freuen uns über jede weitere Unterstützung!

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