Ich konnte mit Christian Gratzer, Pressesprecher vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ), unter anderem über Verkehrswende, Ticketpreise, Infrastrukturprojekte und Herausforderungen in der österreichischen Verkehrspolitik sprechen.
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Würden Sie sich und den VCÖ kurz vorstellen?
Der „VCÖ – Mobilität mit Zukunft“ wurde 1988 gegründet und ist eine auf Mobilität und Transport spezialisierte, gemeinwohlorientierte Organisation. Unser Ziel ist ein ökologisch verträgliches, ökonomisch effizientes und sozial gerechtes Verkehrssystem. Der VCÖ arbeitet wissensbasiert und zeigt Lösungen auf, die auch langfristig zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Unsere Sichtweise ist global orientiert, themenübergreifend und berücksichtigt die Interessen zukünftiger Generationen. VCÖ arbeitet wissensbasiert und zeigt Lösungen auf, die auch langfristig zu ehr Nachhaltigkeit beitragen. Auf europäischer Ebene arbeiten wird gemeinsam mit dem Dachverband T&E (Transport & Environment) für ein klimaverträgliches Verkehrssystem.
Wo sieht der VCÖ im österreichischen Verkehrsbereich die zentralen Herausforderungen?
Den Verkehr auf Klimakurs zu bringen, ist einerseits die zentrale Herausforderung, gleichzeitig aber auch die große Chance, viele andere vom Verkehrssystem verursachten Probleme zu lösen oder zumindest zu verringern. Wenn der Anteil der klimaverträglichen Mobilität, also Gehen, Radfahren und Öffentlicher Verkehr, deutlich zunimmt, dann sind auch gesünder, platzsparender und kostengünstiger mobil. Das heißt konkret weniger Luftverschmutzung durch die Abgase des Kfz-Verkehrs, weniger Verkehrslärm, weniger Staus, deutlich geringere externe Kosten und gleichzeitig einen großen Gesundheitsnutzen, weil bewegungsaktive Mobilität unser Immunsystem stärkt und vielen Krankheiten vorbeugt. Zudem sorgt ein hoher Anteil von Gehen, Radfahren und Öffentlichem Verkehr dafür, dass viele Menschen unabhängig von Alter und Einkommen mobil sein können.
Was ist für den VCÖ der größte Irrweg in der österreichischen Verkehrspolitik?
Anstatt das Auto als eines von mehreren Verkehrsmitteln zu behandeln, hat es die Verkehrspolitik des 20. Jahrhunderts zum dominierenden Verkehrsmittel gemacht. Das hat zu enormen Folgeschäden geführt. Denken wir an die zigtausenden Menschen, die in den vergangenen Jahrzehnten durch Verkehrsunfälle schwerst oder gar tödlich verletzt wurden. Denken wir an die durch Abgase und Lärm verursachten Gesundheitsschäden. Oder denken wir an den enormen Flächenverbrauch des Kfz-Verkehrs. Gerade die Klimakrise führt uns vor Augen, welche negativen Folgen die Bodenversiegelung durch die Straßen und Parkplätze haben. Die Asphaltwüsten heizen sich auf, verschärfen im Sommer die Hitzebelastung. Bei Starkregen verhindern sie wiederum das Versickern des Wassers, was wiederum Hochwasser verschärft. Auch hat die Dominanz des Autos die Mobilität vieler eingeschränkt. Fußgängerinnen und Fußgänger wurden regelrecht an den Rand gedrängt. Auch vielen Straßen wird parkenden Autos mehr Platz eingeräumt, als Menschen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad mobil sind. Und während das Straßennetz massiv ausgebaut wurde, wurde das Bahnnetz sträflich vernachlässigt. In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren wurde die Schiene forciert. Die Wirkungen der Investitionen wurden aber geschwächt, weil gleichzeitig die Autobahnen und Schnellstraßen weiter ausgebaut wurden.
Für Schnellfahrstrecken und Tunnel auf der Schiene werden in Europa und auch in Österreich Milliarden investiert: Könnte man das Geld auf der Schiene effektiver investieren?
Die Mittel für die Schiene sind dann effizient eingesetzt, wenn ein integrierter Taktfahrplan die Investitionen bestimmt. Denn die Gesamtreisezeit ist eines der zentralen Kriterien für die Verkehrsmittelwahl. Das zeigt auch der VCÖ-Bahntest, bei dem jedes Jahr mehrere tausend Fahrgäste befragt werden. Es braucht daher beides: Sowohl die Beschleunigung von Hauptstrecken – siehe Erfolg der Westbahnstrecke – als auch die Modernisierung und den Ausbau des regionalen Nahverkehrs.
Was wären wichtige Maßnahmen, um die Schiene konkurrenzfähiger zu Auto, Fernbus und Billigflieger zu machen?
Die wichtigste Maßnahme ist die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen. Der Flugverkehr in der EU wurde allein im Vorjahr durch die Steuerbefreiung von Kerosin und der Flugtickets mit mehr als 70 Milliarden Euro indirekt subventioniert. Dazu kommen noch Subventionen für Regionalflughäfen, die in der Regel von den Billig-Airlines angeflogen werden. Die Flugticketabgabe ist viel zu niedrig, insbesondere für Kurzstreckenflüge sollte sie nicht wie geplant nur 12 Euro betragen, sondern mindestens 50 Euro. Auch beim Autoverkehr fehlt die verursachergerechte Internalisierung externer Kosten, wie Umwelt- und Gesundheitsschäden. Und dann braucht es nicht nur in Worten, sondern vor allem in den konkreten Taten in der Verkehrspolitik eine klare Priorisierung der Schiene gegenüber der Straße. Österreichs Bahnunternehmen haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie professionell und mit hoher Qualität arbeiten können. Das zeigt sich auch am internationalen Medienecho. Während früher lediglich die SBB als Paradeunternehmen ins Rampenlicht gerückt wurden, berichten die Creme de la Creme der internationalen Medienwelt, von der Zeit bis zur New York Times, über die Erfolge der Bahn in Österreich.
Wie stehen Sie zum Preisniveau auf der österreichischen Schiene – sind die Bahntickets zu teuer?
Der Vergleich mit der Schweiz zeigt, dass Bahntickets in Österreich nicht zu teuer sind. Vor allem die Jahresnetzkarten, wie es sie in Wien, Vorarlberg, Tirol und Salzburg gibt, machen den Öffentlichen Verkehr günstig.
Auf Europas Schienen, so auch in Österreich, bekommen die Staatsbahnen (z.B. ÖBB, DB, etc.) immer mehr Konkurrenz: Sieht man beim VCÖ diese Entwicklung positiv, und warum?
Wettbewerb führt zu mehr Qualität, wenn es klare Rahmenbedingungen und Spielregeln gibt. Mit dem Markteintritt der Westbahn haben die ÖBB einen großen Qualitätssprung nach vorne gemacht, was zu einer deutlich Zunahme der Anzahl der Fahrgäste geführt hat. Auf EU-Ebene meinen aber manche, Liberalisierung wäre ein Selbstzweck und verlieren dabei das Ziel aus den Augen, die Qualität des Bahnverkehrs als Gesamtsystem und damit die Anzahl der Fahrgäste zu erhöhen. Ich denke, auch hier ist es klug sich, an den Besten zu orientieren und das ist in Europa bei der Bahn die Schweiz.
Wäre kostenloser ÖPNV eine Alternative für staugeplagte Städte?
Nein. Fahrgast-Einnahmen sind wichtig, damit der Öffentliche Verkehr seine Qualität und sein Angebot laufend verbessern kann. Was es punkto Tarife braucht ist ein attraktiver Preis, wie das beispielsweise in Wien mit dem 365 Euro Jahresticket der Fall ist. Darüber hinaus ist es wichtig, dass der Öffentliche Verkehr in den Städten gegenüber dem Autoverkehr konsequent bevorrangt wird. Fahrgäste leisten einen großen Beitrag zur Stauvermeidung und sollen daher selber nie im Stau stehen. Deshalb sind eigene Busspuren sowie für Straßenbahnen eigene Gleiskörper so wichtig. Die Ballungsräume brauchen ein dichteres S-Bahnnetz mit häufigen Verbindungen vom Umland in die Stadt. Und die Wirkung der Investitionen in den Öffentlichen Verkehr werden durch Maßnahmen wie eine City-Maut und eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung zu Marktpreisen verstärkt.