Bei der diesjährigen Auflage meiner Beitragsreihe „Bahner im Gespräch“ werden führende Entscheidungsträger, ExpertInnen und InsiderInnen zu verschiedenen Themen rund um Digitalisierung, autonomes Fahren, Wettbewerb auf der Schiene und Fitnessstudios im Zug befragt.
Mit Nick Brooks, Generalsekretär ALLRAIL (die Allianz für private Personenverkehrsunternehmen in der EU), ist auch ein Experte für den Wettbewerb am europäischen Bahnmarkt in meiner Beitragsreihe vertreten.
Danke für Euren Besuch am Blog – bevor Ihr weiterlest, erlaubt mir einen Aufruf in eigener Sache: Euch liegen Verkehr, Mobilität und vor allem die ZukunftBahn auch am Herzen und Ihr wollt mich und meinen Blog unterstützen?
Ich würde mich über Euer Feedback und Eure Meinungen in den Kommentaren sehr freuen. Wenn Euch mein Beitrag gefällt, dann teilt ihn doch in den sozialen Medien, empfehlt meinen Blog weiter und abonniert mich auf Facebook, LinkedIn und Twitter!
Ich freu mich sehr, dass sich Nick Brooks die Zeit für das Interview genommen hat, und ich möchte mich dafür nochmals sehr herzlich bedanken!
Wenn Autos, Busse und LKWs auch autonom unterwegs sind und somit deutlich bessere Leistungen bringen können, was ist dann der Platz der Bahn in der Mobilität?
In vielen Ländern wurde die Eisenbahn bereits vor 40-50 Jahren als Auslaufmodell betrachtet; man hatte bis in unser heutiges Zeitalter mit fliegenden Autos gerechnet.
Stattdessen hat die Bahn überlebt.
Nun seien autonome Fahrzeuge die neue ‚Bedrohung‘. Die Bahnbranche kann sich aber gut wehren, indem sie innovativ bleibt – Innovation geht aber viel besser mit Wettbewerb im selben Verkehrsträger.
Zwar reden Staatsbahnen gern über intermodalen Wettbewerb, d.h. Wettbewerb mit dem Straßen- & Luftverkehr. Dies geht aber viel besser, wenn man erst einmal den intramodalen Wettbewerb (d. h. im selben Verkehrsträger) beherrscht hat. Intermodaler Wettbewerb geht nicht ohne intramodalen Wettbewerb.
Der Platz der Bahn in der Mobilität wird also erst nach einer Marktöffnung stärker sein.
Wie sieht für Sie die Bahn der Zukunft aus? Hyperloop oder doch die klassische Schiene?
Ich setze auf die klassische Schiene. Selbst wenn der Hyperloop nach vielen weiteren Jahren Forschung, Zulassung und Bauzeit zustande kommt, dann ist er nach meinem Kenntnisstand eher für die Langstrecke gedacht. Allerdings fahren die meisten Bahnfahrer immer noch Kurz- und Mittelstrecke, vor allem die Pendler.
Wo ich mir aber beim Hyperloop große Hoffnung mache, ist dass dieser eines Tages die wirklich sehr langen Strecken bedient, z. B. zwischen Europa und dem Mittleren Osten/Asien, nämlich auf Strecken wo selbst Hochgeschwindigkeitszüge nicht gegen den Langstreckenflieger konkurrieren können. Das fände ich einen echten Fortschritt
Die Deutsche Bahn hat vor 2 Jahren den Ideenzug präsentiert: Sind Fitnessgeräte, ein Public Viewing Bereich und Einzelkabinen Teil eines modernen Zuges?
Andere Verkehrsträger sind in Sachen Innovation der Eisenbahn voraus: Dort,
wo der intramodale Wettbewerb bereits flächendeckend eingeführt worden ist (z. B.
in der Flugbranche), erlebt man aber eher selten solche Ideen an Bord.
Sondern: Passagiere wollen sicher und komfortabel in regulären Sitzplätzen
reisen, am liebsten mit WiFi und Bordunterhaltung, die allerdings keine
zusätzliche Fläche beansprucht. Ich denke, dies wird auch in der Bahnbranche so
sein.
Bei Nachtzügen mache ich aber eine Ausnahme: Wenigstens einige Einzelkabinen in jedem Zug wären ratsam, damit das Produkt auch für wohlhabendere Reisende (z. B. Geschäftsleute) attraktiv ist, was dazu beitragen könnte, dass die Gesamtrechnung für den Nachtzug besser aufgeht.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen, um die Eisenbahn fit für die Zukunft zu machen und wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den Verkehrsträger Schiene?
Die Infrastruktur muss weiter ausgebaut werden, die bestehenden Knoten besser der Nachfrage angepasst und neue Strecken gezielt gebaut werden.
Diese Trassengebühren müssen so kalkuliert werden, damit Neuverkehr gefördert und nicht abgeschreckt wird.
Zudem muss es sowohl für neue Züge wie auch Züge zweiter Hand einen funktionierenden Leasing-Markt geben – ähnlich zu der Lage aller anderer Verkehrsträger. Besserer Zugang zu Zügen verursacht Mehrverkehr.
Noch dazu brauchen die Passagiere Durchgangsfahrscheine. Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Bahnen in Sachen Preis und Qualität/Service an Bord muss es geben, aber – damit Fahrgäste die günstige bzw. schnellste Bahnoption zwischen zwei Bahnhöfen in Europa ohne Risiko buchen können – muss es Durchgangsfahrscheine über alle Bahnanbieter geben.
Die größte Herausforderung besteht darin, dass Staatsbahnen sich oft durch solche verkehrsfördernde Maßnahmen bedroht fühlen und viel Steuergeld für Lobbyarbeit ausgeben, um eben diese Sachen zu verhindern. Solange die Lobby-Übermacht der etablierten Bahnen vorhanden ist, erwarte ich leider wenig Fortschritt.
Wie glauben Sie, dass die Bahn Teil eines modernen Lebensstils werden kann?
Es ist in der Tat schade, dass auch nach vielen Anstrengungen die Eisenbahn immer noch über nur 8-9 %-Marktanteil verfügt. Der motorisierte Individualverkehr ist fast zehnmal so groß, also immer noch viel zu stark.
Man braucht neue Lösungen, die zu einer höheren Akzeptanz führen.
Erneut Steuermilliarden allein an die Staatsbahnen zu schenken gehört nicht dazu.
Sondern man braucht mehr Vielfalt, Angebot aber dabei zuverlässige und leicht zugängliche multimodale Tür-zu-Tür-Lösungen (mit der Eisenbahn als Rückgrat), um die Menschen vom vermeintlichen Komfort des Privatautos wegzulocken.
Vor dem Hintergrund von Automatisierung, Digitalisierung und IoT: Wie sehen bei der Bahn die Jobs der Zukunft aus?
Interoperabilität ist eines der Stichwörter des künftigen europäischen Bahnbinnenmarktes.
Diese beinhaltet nicht nur Sicherheits- und Kontrollsysteme sondern auch Vertriebs- sowie Fahrscheinsysteme. Darüber hinaus muss es stärkere Systemintegratoren wie etwa die Europäische Bahnagentur geben. Insgesamt sehe ich zahlreiche neue Weiterentwicklungsmöglichkeiten.
Wo sehen Sie Chancen und Herausforderungen bei freiem Wettbewerb auf der Schiene?
Ich sehe ehrlich gesagt keine Alternative.
Für die Chefin der nächsten EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat eine drastische Absenkung des Ausstoßes von klimaschädlichen Gasen oberste politische Priorität. Dabei solle ausdrücklich die Bahnbranche wettbewerbsfähiger werden.
Der intermodale Wettbewerb (d. h. Wettbewerb mit dem Straßen- & Luftverkehr) wird aber erst gut klappen, nachdem diverse Eisenbahnverkehrsunternehmen unter fairen Rahmenbedingungen miteinander im intramodalen Wettbewerb stehen. Gerade in den Fällen, wo es Wettbewerb auf der Schiene in Europa gibt, ist die Verkehrsverlagerung zur Eisenbahn besonders stark gewesen.
Nur: Faire Rahmenbedingungen sind in meisten EU-Ländern noch nicht vorhanden, eventuell erst in 10 oder sogar 15 Jahren. Das wird viel zu spät sein
Wie sehen Sie die Preisgestaltung im öffentlichen Verkehr? Ist billiger besser oder müsste er überhaupt gratis sein?
Ich halte nichts von kostenlosem Verkehr. „Was nichts kostet, ist nichts wert!“ sagt ein altes Sprichwort. Die Eisenbahn würde an Wertschätzung seitens der Passagiere verlieren.
Die Motivation, ein innovativeres oder qualitativ hochwertigeres Angebot einzuführen, wäre nicht mehr vorhanden – wozu auch?
Die Bahnbranche würde schnell in eine Planwirtschaft hinabrutschen, während andere Verkehrsträger nicht vom Steuerzahler abhängig wären und ständig weiter innovativ sein können.
Wenn die Bahnbranche qualitativ hochwertige Leistungen auf der Schiene anbietet, wenn Fahrpreise dank Wettbewerb auf der Schiene attraktiv und die Züge gut ausgelastet sind, dann braucht man keine Subventionen einführen, wo es nicht nötig ist.