Ist kostenloser ÖPNV zukunftsfähig?

Dez 22, 2018 | Innovation, Personenverkehr

Ab 2020 will die Regierung in Luxemburg den öffentlichen Personennahverkehr kostenlos machen, sprich für Busse, Trambahnen und Züge sollen keine Gebühren anfallen.
In Aschaffenburg ist der ÖPNV seit 1. Dezember kostenlos und in der estnischen Hauptstadt Tallinn sind die Öffis sogar seit 2013 gratis.
Ist kostenloser ÖPNV nun ein guter und wichtiger Baustein für eine Verkehrswende und Klimaschutz oder ist er eine undurchdachte Maßnahme?


Danke für euren Besuch am Blog – bevor Ihr weiterlest erlaubt mir einen Aufruf in eigener Sache:
Mir liegen #Verkehr, #Mobilität und vor allem die #ZukunftBahn sehr am Herzen und ihr wollt mich unterstützen?
Ich würde mich über euer Feedback und eure Meinungen in den Kommentaren sehr freuen. Wenn euch mein Beitrag gefällt, dann teilt ihn doch in den sozialen Medien, empfehlt meinen Blog weiter und abonniert mich auf Instagram und Twitter!


Das könnte Euch auch interessieren:
Verkehrswende statt Antriebswende – Warum das Elektroauto unser Problem nicht löst.
Zukunft Nahverkehr in Österreich
Bahner im Gespräch zum Thema Subventionen

Luxemburg kämpft mit massiven Verkehrsproblemen, in Luxemburg City gibt es eine der höchsten Verkehrsdichten weltweit. In der Hauptstadt Luxemburgs leben 110.000 Menschen, jedoch kommen jeden Tag 400.000 Pendler in die Stadt. Im Durchschnitt standen Autofahrer dort 33 Stunden pro Jahr im Stau. [note] Vgl.: https://utopia.de/kostenloser-oeffentlicher-nahverkehr-luxemburg-116979/ zugegriffen am 11.12.2018 [/note]

Mit kostenlosem Nahverkehr will man die Menschen in die Öffis locken, Verkehrsprobleme lösen und gleichzeitig den Emissionsausstoß stark vermindern.
Auch in Deutschland, wo man in vielen Städten die Luftgrenzwerte überschreitet, denkt man immer wieder laut über kostenlosen Nahverkehr nach.

Was spricht für gratis ÖPNV?

Die Idee an sich ist auf den ersten Blick gut.
Vieles spricht für eine intensive Nutzung des öffentlichen Verkehrs: Der Pro-Kopf-Verbrauch und der Emissionsausstoß ist einfach deutlich niedriger als im motorisierten Individualverkehr. Zudem brauchen Bus, Bahn und Co. deutlich weniger Platz als Autos, was in urbanen Räumen und Stadtregionen durchaus ein schlagendes Argument ist.
Finanzielle Aufwände sind oft eine Hemmschwelle Neues zu probieren, aber eine gratis Alternative zum Selberfahren oder zum Taxi kann sehr verlockend sein.

Außerdem wäre für jeden Menschen, unabhängig von sozialem Status und Einkommen, das Grundbedürfnis Mobilität abgedeckt.

Soziale Gerechtigkeit und bessere Lebensqualität in Städten – klingt dies zu schön, um wahr zu sein?

Was spricht dagegen?

Die estnische Hauptstadt Tallinn hat seit 2013 kostenlosen ÖPNV – sehen wir uns an, was sich verändert hat.
Eine Studie der Delft University of Technology hat ergeben, dass man im öffentlichen Nahverkehr ein Fahrgastplus von etwa 14 % verzeichnet. Jedoch sind dies meist Menschen, die vorher zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs gewesen sind oder den ÖV bereits gelegentlich genutzt haben und jetzt einfach öfter gefahren sind. [note] Vgl.: https://www.dw.com/en/can-free-public-transport-really-reduce-pollution/a-42584328 zugegriffen am 13.12 2018 [/note]
Die Autofahrer hat man leider damit nicht erreicht, die durchschnittliche Zahl an Autofahrten ist sogar um 31 % gestiegen. [note] Vgl.: https://www.theguardian.com/cities/2016/oct/11/tallinn-experiment-estonia-public-transport-free-cities zugegriffen am 13.12.2018 [/note]

Wenn wir davon ausgehen, dass durch das Wegfallen von Gebühren die Nutzung des ÖPNV massiv ansteigt, dann entstehen gleichzeitig große Herausforderungen. Das System des öffentlichen Verkehrs (ÖV) wird extrem beansprucht und wahrscheinlich sogar überlastet.
Je mehr Fahrgäste, umso mehr Kapazitäten sind notwendig.
Immer mehr Fahrzeuge (Busse, Straßenbahnen, Züge) und vor allem auch immer größere Fahrzeuge werden notwendig sein. Somit entstehen auch mehr Personal-, Wartungs- und Reinigungskosten. Takte müssen erhöht werden, Haltestellen und Bahnhöfe müssen vergrößert werden und das ganze natürlich immer am besten gestern – doch all das kostet Geld, sehr viel Geld.

Wer trägt nun die Kosten?
Egal ob Autobahn, U-Bahn-Tunnel oder Bushaltestelle, Mobilität muss aufgrund der großteils mangelnden Rentabilität staatlich (mit)finanziert werden.

Sehen wir uns am Beispiel Wien, der Welt-Öffi-Hauptstadt, an, wie die Finanzierung im ÖPNV aussieht:
Bei den Wiener Linien werden zirka 70 % aller Kosten durch den Verkauf von Fahrscheinen gedeckt. Nur 30 % werden hier aus öffentlicher Hand zugeschossen.
Diese 70 % entsprechen fast 500 Millionen jährlich, die man selbst erwirtschaftet und wieder in den ÖV investiert. [note] Vgl.: https://www.youtube.com/watch?v=JFwX3swOjI0 zugegriffen am 12.12.2018 [/note]
In Wien gibt es keine Luftgrenzwertüberschreitungen, es ist die lebenswerteste Stadt der Welt und hat mehr Öffi-Jahreskartenbesitzer als zugelassene Pkw – und das alles wird zu einem sehr großen Teil durch das System selbst finanziert.
In anderen Städten wird/wurde der öffentliche Verkehr stiefmütterlich behandelt. Dort erzielt man jetzt noch einen deutlich geringeren Anteil durch Fahrscheinverkauf.
Durch massive Mehrnutzung sind schnell viele und große Mehrinvestitionen notwendig. Für viele Kommunen ist Verkehr jetzt schon eine starke finanzielle Belastung. Wenn dann noch Einnahmen durch den ÖPNV entfallen, wird die Belastung immer größer und durch notwendige Mehrinvestitionen werden die Finanzhaushalte von Städten und Ländern überlastet, bzw. können dies gar nicht mehr leisten.

Und was passiert, wenn das Geld fehlt?
Überfüllte Stationen und Fahrzeuge, Unpünktlichkeit, das Image wird immer schlechter, die Kunden immer unzufriedener, auf den Straßen wird’s wieder voller und man hat kein nachhaltiges Ziel erreicht.

Wie sieht die Preisgestaltung der Zukunft aus?Fahrkartenverkauf_visual

Tallinn zeigt, dass der Preis nur ein Faktor von vielen ist, wenn es um die Wahl des Verkehrsmittels geht – natürlich muss die Qualität ebenfalls stimmen.

Ich bin trotzdem der Meinung, dass der Preis auch ein wichtiger Faktor ist, den man nicht aus den Augen verlieren darf.
Aus verkehrs- und klimapolitischer Sicht ist es wichtig, die Nutzung von ökologischen Verkehrsmitteln, wie eben des öffentlichen Verkehrs, günstiger zu machen und hingegen Autofahren in Ballungszentren und auf Hauptverkehrsachsen sowie Kurzstreckenflüge zu verteuern. Die Politik ist hier gefordert, die Steuer- und Abgabenmodelle dementsprechend anzupassen.
Dieser marktwirtschaftliche Ansatz dient nicht nur einer Verkehrswende, sondern bringt auch wichtige Mittel für die Finanzierung des ÖPNV.
Gerade in Zeiten, wo der öffentliche Verkehr ein starkes Wachstum hinlegt, wir vielerorts an Kapazitätsgrenzen stoßen und wir das System fit für die Zukunft machen müssen, ist eine derartige Umfinanzierung ein guter Ansatz.
In diesem Zusammenhang muss man auch sagen, dass der ÖV sehr wichtig für Klima- und Umweltschutz sowie lebenswerte Städte ist. Und genau deshalb ist dieser Ansatz auch absolut gerechtfertigt.

Ich halte aber an Tickets fest, weil sie eine fundamentale Stütze des öffentlichen Verkehrs sind, aber sie müssen trotzdem für jeden Menschen leistbar bleiben. Jeder Mensch ist gleich und jeder Mensch braucht einen uneingeschränkten Zugang zum Verkehrssystem.

Diesen Artikel auf Social Media teilen:

Ähnliche Artikel