Bei der diesjährigen Auflage meiner Beitragsreihe „Bahner im Gespräch“ werden führende Entscheidungsträger, ExpertInnen und InsiderInnen zu verschiedenen Themen rund um Digitalisierung, autonomes Fahren, Wettbewerb auf der Schiene und Fitnessstudios im Zug befragt.
Heute gibt´s Inputs und Visionen aus der Welthauptstadt des Öffentlichen Verkehrs: aus Wien.
Ich darf Euch das Interview mit Markus Ossberger präsentieren, dem Leiter der Infrastruktur bei den Wiener Linien.
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Ich freu mich sehr, dass sich Markus Ossberger die Zeit für das Interview genommen hat, und ich möchte mich dafür nochmals sehr herzlich bedanken!
Hier könnt Ihr Euch mit Markus Ossberger auf LinkedIn vernetzen!
Wenn Autos, Busse und LKW auch autonom unterwegs sind und somit deutlich bessere Leistungen bringen können, was ist dann der Platz der Bahn in der Mobilität?
Die Bahn ist und wird immer der Garant für zuverlässige Massenmobilität sein. Unsere Lebensweisen mit getrennten Schul-, Arbeits- und Schlafwelten brauchen schnelle Bahnsysteme in den Spitzenstunden, denn wenn jede/r mit dem Auto unterwegs ist, steht alles. Autonomes Fahren geht immer einher mit dem Ende der individuellen Mobilität, das wird bei der Kommunikation nur gerne „vergessen“. Anders funktioniert dieser Business Case ja nicht.
Autonome Busse als Teil des ÖVs können hingegen in Bereichen, in denen Schienenbahnen wirtschaftlich keinen Sinn machen, eine gute Lösung für Last-Mile-Systeme sein: ähnlich wie das heutige Anruf-Sammeltaxi. Autonome LKW und Autos müssen als gesteuerte und gesharte Flotten betrieben werden. Das heißt, die Bahn bleibt der starke Backbone, autonome Busse und Sammeltaxis ergänzen in der Fläche. Dass das funktionieren kann, zeigt Wien ja bereits eindrucksvoll vor: Der Modal Split liegt bei 38 Prozent.
Ziel muss es dann aber sein, Verkehrs-Flächen durch weniger ruhenden Verkehr freizugeben und Energieverbrauch und Emissionen des Verkehrs zu steuern und zu begrenzen. Zumindest in der Stadt.
Wie sieht für Sie die Bahn der Zukunft aus? Hyperloop oder doch die klassische Schiene?
Die Bahnen der Zukunft heißen U-Bahn, Straßenbahn und S-Bahn. Sie werden auch weiterhin die Hauptlast im Verkehr tragen. Im Fernbahnbereich holt der Bus stark auf.
Alle alternativen Systeme, die in den vergangenen 100 Jahren ausprobiert wurden, funktionieren nur in den seltensten Spezialfällen, sind aber schlicht zu teuer und zu wenig leistungsfähig. Einzig die Magnetschwebebahn hätte großes Potential, doch das wird in Europa leider bisher noch nicht ausgeschöpft.
Die Zukunft gehört definitiv der Bahn, in Städten den Metros und Straßenbahnen.
Die Deutsche Bahn hat vor 2 Jahren den Ideenzug präsentiert: Sind Fitnessgeräte, ein Public Viewing Bereich und Einzelkabinen Teil eines modernen Zuges?
Ich denke, das sind Lösungen, die in Unkenntnis der Eigenschaft und Funktion der Bahn im Gesamtverkehrssystem konzipiert und vom Marketing ausgerollt werden. Ähnliche Missverständnisse haben die Deutsche Bahn ja auch schon dazu verleitet, Airline Tarifmodelle und die Zugbindung beim Ticket einzuführen. Das entspricht auch nicht der Kultur des typischen Bahnkunden, also der PendlerInnen oder der SchülerInnen.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen, um die Eisenbahn fit für die Zukunft zu machen und wo sehen Sie die größten Herausforderungen für den Verkehrsträger Schiene?
Nicht nur für die Instandhaltung und Erneuerung der bestehenden Systeme müssen massiv Mittel eingesetzt werden. Auch für die Angebotserweiterung für PendlerInnen durch Infrastrukturausbau und die Beschaffung moderner Fahrzeuggarnituren muss viel Geld in die Hand genommen werden.
Wie glauben Sie, dass die Bahn Teil eines modernen Lebensstils werden kann?
Bei den Wiener Linien haben wir vor 20 Jahren den Grundstein für ein flächendeckendes Mobilfunknetz im U-Bahnbereich gelegt. Damit hat ein moderner Lifestyle Einzug gehalten, der vielen den Umstieg auf die Öffis erleichtert hat. Die Bahnhöfe der Vollbahn wiederum müssen weiter ins Stadtinnere rücken und als vitale Zentren fungieren, so wie dies im Rahmen der Bahnhofsoffensive der ÖBB vorexerziert wurde. Der Bahnhof in Linz ist meiner Meinung nach einfach schön und hip. Außerdem muss jeder Bahnhof auch ein multimodaler Knoten sein. In Städten bedeutet das kurze Umsteigewege zu U-Bahn, Bim und Bus für PendlerInnen und SchülerInnen.
Vor dem Hintergrund von Automatisierung, Digitalisierung und IoT: Wie sehen bei der Bahn die Jobs der Zukunft aus?
Die Digitalisierung wird einerseits die planenden und koordinierenden Jobs der TechnikerInnen durch solide Echtzeitdaten stark aufwerten. Das gilt auch für die in unterschiedlichsten Bereichen tätigen FacharbeiterInnen, von denen viele massive Weiterentwicklung und Höherqualifikation erleben werden. Der Betrieb der U-Bahnen wird in den nächsten Jahrzehnten zwar automatisiert, am Bahnsteig und im Zug wird es dennoch auch weiterhin Menschen im Info- bzw. Servicedienst brauchen. Im Straßenbahn-Betrieb werden künftig auch Fahrerassistenzsysteme Einzug halten. Durch diesen Mischverkehr bleiben FahrerInnen bis auf weiteres also unverzichtbar.
Wo sehen Sie Chancen und Herausforderungen bei freiem Wettbewerb auf der Schiene?
Ich sehe die Herausforderungen, den Bahnverkehr einerseits auf den starken Achsen dauerhaft als soziale Daseinsvorsorge zu erhalten und andererseits in strukturschwachen Regionen Verkehrsverbindungen kosteneffizienter und näher am Kunden zu betreiben. Die Pinzgaubahn hat ja gezeigt, wie man schnell attraktiver werden kann. Wettbewerb im Sinne einer Preiskonkurrenz ist vor allem dort sinnlos, wo die Infrastruktur natürliche Monopole zwangsweise vorgibt. Man kann nicht „nur“ aus Wettbewerbsgründen ein zweites Straßenbahnnetz oder eine zweite Wasserleitung bauen.
Wie sehen Sie die Preisgestaltung im öffentlichen Verkehr? Ist billiger besser oder müsste er überhaupt gratis sein?
There is no such thing like a free lunch. Man muss diese Dinge offen kommunizieren. Im Jugendbereich gibt es ja bereits das Top-Jugendticket für die gesamte Ostregion. Leistungen im Verkehr brauchen meines Erachtens nach auch Preise die lenkend wirken müssen. Viel wichtiger ist aber die Gesamtsicht.
Damit Menschen auf die Öffis umsteigen, muss nämlich das Gesamtpaket stimmen. Die Intervalle müssen so dicht sein, dass ein Fahrplan quasi unnötig ist, die Haltestellen- bzw. Stationsabstände müssen fußläufig erreichbar sein, das Liniennetz muss entsprechend gut aufgestellt sein, die Fahrzeuge, Haltestellen und Stationen müssen auf dem neusten Stand der Technik, sicher und sauber sein. Wenn dann auch noch der Preis stimmt, dann sind Bahn, Bim und Bus eine echte Alternative zum Auto. Denn: Ist das Ticket zwar kostenlos, die Öffis kommen aber nur alle 45 Minuten, dann kann man sich ausrechnen, wie viele Menschen die Öffis nutzen.
In 2 Wochen geht´s weiter mit Carmen Parrino, der Geschäftsführerin von Abellio Rail Mitteldeutschland.
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