Ich konnte mit Matthias Landgraf vom Institut für Eisenbahnwesen der TU Graz über die Ökobilanz der Bahn sowie über Umweltauswirkungen durch Produktion, Instandhaltung und Entsorgung von Fahrzeugen und der Infrastruktur sprechen. Freut euch auf eine sehr interessante Ausweitung der Umweltdiskussion rund um den öffentlichen Verkehr.
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Würdest Du Dich bitte kurz vorstellen?
Ich bin Matthias Landgraf und ich arbeite seit 2011 am Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswirtschaft der TU Graz. Ich bin dort als Senior Scientist für Lehre, Forschung und Projekte zuständig. Der Fokus des Instituts liegt seit mehr als 25 Jahren auf predictive maintenance im Bahnwesen und der Entwicklung nachhaltiger Instandhaltungs- und Investitionsstrategien auf Basis von Lebenszykluskosten. Im Rahmen meiner Forschung habe ich vor mehreren Jahren begonnen, neben den Kosten auch Umweltwirkungen der Infrastruktur in Form von Ökobilanzen zu bewerten und in unsere Methodik zu integrieren.
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Wo siehst du die zentralen Herausforderungen auf der Schiene?
Die Bereitstellung der benötigten Kapazität, um den stetig wachsenden Verkehr auch abwickeln zu können. Dazu braucht es zunächst eine Effizienzsteigerung der bestehenden Systeme und Prozesse mit Hilfe der Werkzeuge der Digitalisierung. Aber natürlich auch Investitionen in die Bahninfrastruktur. Beides sollte bestenfalls in Form einer homogenen europäischen Entwicklung passieren.
Welche Rolle kann die Bahn in einem Verkehrssystem der Zukunft einnehmen?
Eine sehr zentrale Rolle, da bin ich mir sicher. Nachhaltige Mobilität ist untrennbar mit dem Verkehrsträger Bahn verbunden. Ich bin aber auch kein Fan davon, Verkehrsträger oder auch verschiedene Antriebssysteme gegeneinander in Konkurrenz zu setzen. Wären wir bei „Wünsch‘ dir was!“ würde ich hoffen, dass die MeinungsbildnerInnen der jeweiligen Branchen die Stärken der einzelnen Verkehrsträger erkennen und die Entwicklungen dementsprechend vorantreiben. Die sogenannte Verkehrswende kann meiner Meinung nach nur in einer nachhaltigen, wirtschaftlichen und für den Fahrgast komfortablen und leistbaren Mobilitätskette münden – dies gilt natürlich ebenso für Güter. Dafür braucht es mehr miteinander im gesamten Sektor, da in dieser Kette jeder Verkehrsträger seinen Beitrag leisten kann und muss.
Du fokussierst Dich in Deiner Forschung auf Ökobilanzen: Wie siehst du die Ökobilanz der Bahn? Könnte man etwas besser machen?
Die Bahn schneidet ja in sämtlichen ökologischen Vergleichen sehr gut ab – und das auch vollkommen zurecht. Als zumeist elektrifiziertes Massentransportmittel kann die Bahn natürlich auch im Bereich der Ökologie ihre Stärken voll ausspielen. Dennoch muss man sich dessen bewusst sein, dass die Produktion, Instandhaltung und Entsorgung der Infrastruktur sowie der Fahrzeuge mit immensen Umweltwirkungen verbunden sind. Dies gleicht sich durch die langen Nutzungsdauern und der Masse an transportierten Personen und Gütern wieder aus und kehrt sich zu einer positiven Ökobilanz um. Dennoch haben wir als Eisenbahnsektor auch die Verantwortung, diese Nutzungsdauern zu gewährleisten oder eventuell sogar zu verlängern. Dies bringt eine Reduktion neu zu produzierender Materialien mit sich, denn: Je länger die Nutzungsdauer der Anlagen, desto geringer die jährliche Erneuerungsquote. Dies wirkt sich nicht nur kostenseitig, sondern auch in der Verursachung von Umweltwirkungen positiv aus. Insbesondere hinsichtlich der Komponentenwahl, der positiven Auswirkungen längerer Lebenszyklen (weniger Abfall), effizienter Prozessabläufe und einer besseren Kreislaufwirtschaft der Materialen (reduce, reuse, recycle) lassen sich hier wesentliche Potentiale aufzeigen.
Was kommt Deiner Meinung nach bei Nachhaltigkeitsdiskussionen rund um den öffentlichen Verkehr zu kurz? Wie sieht es mit den Fahrzeugen oder der Infrastruktur aus?
Meiner Meinung nach ist die öffentliche Diskussion im Mobilitätssektor derzeit sehr stark auf den Betrieb und den daraus resultierenden Strom- bzw. Kraftstoffverbrauch reduziert. Das sind natürlich die Zahlen, welche sich verhältnismäßig einfach ermitteln lassen und daher aktuell die größte Wirkung erzielen. Man sollte meiner Meinung nach jedoch auch die verursachten Umweltwirkungen der Infrastrukturbereitstellung und -Instandhaltung berücksichtigen, selbiges gilt für die Fahrzeuge. Nur im Rahmen einer gesamtheitlichen Betrachtung lassen sich Verkehrsträger sinnvoll miteinander vergleichen, um deren optimales Glied in der angesprochenen Mobilitätskette zu finden. Auch ein Vergleich der verschiedenen Energieträger muss eine derartige Betrachtung beinhalten – derzeit ist ja die Diskussion um Elektro-Akku oder Wasserstoff-Lösungen auch im Eisenbahnwesen sehr präsent. Dementsprechend müssen sowohl die Umweltwirkungen des Fahrzeugs, der Energieerzeugung als auch der Infrastruktur berücksichtigt werden, um letztendlich ein Gesamtoptimum für die jeweiligen Randbedingungen ableiten zu können.
In Österreich fahren die Züge ja mit 100 % Ökostrom, in anderen Teilen Europas spielen Kernkraft und Kohle eine wesentliche Rolle im Energiemix. Ist es Deiner Meinung nach realistisch, alle Züge in Europa mit Ökostrom anzutreiben?
Gute Frage. Möglich? – Wahrscheinlich, aber da gibt es sicher bessere AnsprechpartnerInnen als mich. Realistisch? – Das wird sich zeigen. Zunächst müssen in allen Ländern bzw. bestenfalls auf übergeordneter Ebene (EU) entsprechende Entscheidungen getroffen und dann auch wirklich umgesetzt werden. Für einige Länder würde dies massive Veränderungen und Investitionen bedeuten. Aber auch für Österreich wird es noch zu einer Herausforderung werden, den Anteil an erneuerbaren Energien derart hoch zu halten. Nicht nur im Mobilitätssektor wird mehr und mehr fossile durch elektrische Energie ersetzt werden – unabhängig davon, ob als Speichermedium Batterien, Wasserstoff oder ähnliches verwendet wird. Dementsprechend wird der Energiebedarf rasant steigen. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Ansonsten können wir den Mehrbedarf nicht mehr über erneuerbare Energien decken und drehen uns damit klimapolitisch im Kreis.
Was ist für Dich der größte ökologische Irrweg in den Diskussionen rund um die Mobilität der Zukunft?
Ich sehe hier keine massiven Irrwege. Allerdings versuchen oftmals die einzelnen Branchen gezielt, gewisse Informationen in den Fokus zu rücken: Die Bahn natürlich den Betrieb, da dieser mit Elektrifizierung nahezu emissionsfrei abgewickelt werden kann; der Flugverkehr die im Verhältnis zu Strasse und Schiene weniger benötigte Infrastruktur; der Straßensektor die nicht vorhandenen Emissionen der Elektromobilität – und vergisst dabei gerne auf die Umweltwirkungen der Fahrzeugherstellung. Die einzelnen Punkte haben alle ihre Berechtigung und sind für sich nachvollziehbar, aber eben oft nur ein Teil der Wahrheit. Selbiges gilt auch für die Vergleiche unterschiedlicher Antriebssysteme. Daher bin ich ein Verfechter einer gesamtheitlichen Bewertung, die Betrieb, Infrastruktur und Fahrzeug aus ökonomischer sowie ökologischer Sicht beinhaltet. Damit kann man alle Fakten auf den Tisch legen und wirklich nachhaltige Entscheidungen treffen. Mit dem derzeitigen Wissen und den vorhandenen Informationen lässt sich eine derartige Bewertung mittelfristig etablieren, die politische Umsetzbarkeit wird jedoch eine massive Herausforderung darstellen. Was passiert, wenn die günstigste Lösung gleichzeitig die umweltfeindlichste darstellt? Da wird es Steuerungsinstrumente benötigen. Unseren Beitrag als Verkehrssektor können wir bereits jetzt leisten, indem wir den Fokus auf nachhaltige Lösungen lenken, was ja in Österreich und auch darüber hinaus immer stärker passiert. Dann ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis dementsprechende Steuerungsinstrumente installiert werden, davon bin ich überzeugt.
Wie oft bist Du mit dem Zug unterwegs und was begeistert Dich daran?
Mindestens einmal pro Woche, meistens natürlich beruflich Graz – Wien – Graz. Ich kann arbeiten, abschalten und das bei enormem Fahrkomfort, ohne Ruckeln, Vibrationen oder ähnliches. Das ist für mich eigentlich der größte Mehrwert. Ich genieße es auch, dass ich einfach „just in time“ – ohne Sicherheitskontrolle – am Bahnhof ankommen und in den Zug einsteigen kann. Meine Brille ist aber natürlich eingefärbt, denn klarerweise entwickelt sich eine Faszination für den Sektor, in dem man arbeitet. Ich weiß einfach mittlerweile, wieviel Arbeit dahintersteckt, damit der Verkehr optimal abgewickelt werden kann, die Gleislage auf einem dementsprechend hohen Niveau gehalten wird etc. Ich denke, da geht es VertreterInnen anderer Branchen nicht anders.
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