Interview mit dem VCD Bahnsprecher Philipp Kosok

Sep 17, 2019 | Infrastruktur, Innovation, Interviews, Personenverkehr

Ich konnte mit dem Bahnsprecher des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) unter anderem über Verkehrswende, Deutschlandtakt, Ticketpreise, Infrastrukturprojekte und Herausforderungen in der deutschen Verkehrspolitik sprechen.


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Würdest Du Dich und den VCD kurz vorstellen?

Ich bin Philipp Kosok. Beim ökologischen Verkehrsclub VCD bin ich seit drei Jahren Sprecher für die Themenbereiche Bahn, ÖPNV und Multimodalität. Der VCD engagiert sich seit 33 Jahren für den Ausbau des Bus- und Bahnangebots, um mehr Menschen eine umweltfreundliche Alternative zum eigenen Auto zu bieten.

VCD Bahnsprecher Philipp Kosok
Quelle: VCD/ Katja Täubert


Wo sieht der VCD im deutschen Verkehrsbereich die zentralen Herausforderungen?

Das große Ziel heißt natürlich Verkehrswende. Das sehen mittlerweile nicht nur Umweltverbände wie der VCD so, sondern auch führende Politiker und ein breiter Teil der Zivilgesellschaft. Es geht darum, den Verkehr endlich nachhaltig zu machen – und nicht mehr auf Kosten von Verkehrstoten, Klima und Landschaftsversiegelung immer mehr Auto zu fahren. Gleichzeitig soll es sich jeder leisten können, mobil zu sein. Deswegen müssen die Alternativen zum eigenen Auto massiv gestärkt werden. Das erfordert neue Verkehrskonzepte, viel Geld, Überzeugungskraft, einen langen Atem und einen breiten Konsens in der Gesellschaft.

Was ist für den VCD der größte Irrweg in der deutschen Verkehrspolitik?

Der größte Irrweg ist mit Sicherheit, dass sich die Bunderegierung immer wieder den Wünschen der Autohersteller gefügt hat. Stau wurde mit Straßenbau bekämpft.  Konjunkturschwächen mit Abwrackprämien. Dabei taten die Verkehrsminister so, als ob alles was gut für die Autohersteller ist, auch das Beste für die Bürgerinnen und Bürger sei. Seit dem Abgasskandal gilt das nicht mehr.

Die deutsche Verkehrspolitik durchläuft jetzt eine Transformation. Sie nimmt zunehmend die vielfältigen Interessen der Bevölkerung ernst, anstatt nur Arbeitsplätze bei Autoherstellern zu schützen und eine freie Fahrt auf der Autobahn sicherzustellen. Gute Zeiten für den VCD, denn zunehmen werden auch die Bedürfnisse von Fahrgästen, Radfahrern und spielenden Kindern ernst genommen.

Für Schnellfahrstrecken und Tunnel auf der Schiene werden in Europa und auch Deutschland Milliarden investiert: Könnte man das Geld auf der Schiene effektiver investieren?

Ohne Tunnel und Schnellfahrstrecken geht es nicht. Die Bahn braucht auch Hochgeschwindigkeit, um Fahrgäste zu gewinnen. Das heißt aber nicht Höchstgeschwindigkeit um jeden Preis, sondern so schnell wie nötig. Einzelne Projekte der Vergangenheit waren überdimensioniert oder im Falle von Stuttgart 21 überflüssig. Der VCD ist dafür zunächst einen Zielfahrplan nach Schweizer Vorbild zu entwerfen, den Deutschland-Takt. In dem einigt man sich darauf wie schnell und häufig zwischen Städten gereist werden soll, um etwa auch Anschlusszüge zuverlässig zu erreichen. Anschließend wird die Strecke entsprechend ausgebaut. Dieser Deutschland-Takt ist gerade im Entstehen. Er wird zeigen wo wir zukünftig wieviel Geschwindigkeit im Schienennetz brauchen und dem bisher eher willkürlichen Bau von Großprojekten hoffentlich ein Ende setzen.

Übrigens werden im Deutschland-Takt auch einzelne Trassen für Nachtzüge vorgesehen sein. Ich freue mich, wenn zukünftig noch ein paar mehr Nightjets der ÖBB oder anderen Bahnunternehmen durch Deutschland rollen. Wenn man auf der Reise schlafen kann, kommt es auf ein paar km/h mehr oder weniger nicht an.

Was wären wichtige Maßnahmen, um die Schiene konkurrenzfähiger zu Auto, Fernbus und Billigflieger zu machen?

Der Begriff „Billigflieger“ macht bereits alles deutlich. Fliegen ist zu billig. Für eine Bahnfahrt von Berlin nach Wien erhebt der deutsche Fiskus 19 Prozent Mehrwertsteuer auf den Streckenanteil in Deutschland. Fliege ich dieselbe Strecke, entfällt die Steuer komplett. Der Flieger ist zusätzlich auch von einer Kerosinsteuer befreit.
Eine neue Studie zeigt, dass 95 Prozent der externen Kosten des Verkehrs, also etwa die Klimabelastung, Lärm und die Folgekosten von Unfällen, vom Straßenverkehr verursacht werden. Die Bahn schneidet in jeder Hinsicht besser ab, aber im Wettbewerb der Verkehrsmittel zählt das nur wenig. Ich halte daher die Einpreisung dieser Kosten für notwendig. Eine CO2-Steuer kann das zum Teil leisten. Ergänzend sollte die Bundesregierung die Bahnunternehmen entlasten, etwa bei Trassenpreisen und Mehrwertsteuer. So haben die Menschen preisliche Anreize umweltfreundlich zu reisen, ohne dass Mobilität gleich unbezahlbar wird.
Eine verbesserte Wettbewerbssituation allein wird aber nicht reichen. Auf dem Schienennetz ist derzeit kaum noch mehr Verkehr möglich. Österreich investiert pro Einwohner fast dreimal so viel Geld in die Schieneninfrastruktur wie Deutschland. Wenn wir auch in Deutschland dahin kommen, ist noch viel Platz für Wachstum auf der Schiene.

Wie stehst Du zum Preisniveau auf der deutschen Schiene – sind die Bahntickets zu teuer?

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn teuer und billig sind sowohl subjektiv als auch relativ. Wir haben diese Frage daher zum Schwerpunktthema des kommenden VCD Bahntests gemacht, der im November erscheint. Für den Bahntest befragen wir die Fahrgäste selbst nach ihrer Meinung. Klar ist aber, dass es stabile und bezahlbare Ticketpreise braucht. In den letzten Jahren ist der Preis für Bahnfahrten stärken gestiegen, als der für Autofahrten. Die Preise von Flugtickets sind sogar gefallen. Das ist völlig kontraproduktiv. Die Bundesregierung will die Anzahl der Fahrgäste bis 2030 verdoppeln. Ein ebenso ambitioniertes wie richtiges Ziel. Ich denke, das geht nur, wenn auch an der Preisschraube gedreht wird. Besonders problematisch sehe ich den Nahverkehr. Dort sind etwa Monatskarten in Verkehrsverbünden um durchschnittlich 6 Prozent über die letzten drei Jahren gestiegen, Bahntickets um 10 Prozent. Gleichzeitig gibt es längst nicht flächendeckend Sozialtickets, die es einkommensschwachen Menschen ermöglichen in ihrer Region mobil zu bleiben. Dort hat nicht nur die Verkehrspolitik, sondern der Sozialstaat versagt. Zum Glück überlegen nun immer mehr Kommunen, wie sie diese Entwicklung umdrehen können.

Im deutschen Fernverkehr bekommt die DB immer mehr Konkurrenz: Sieht man beim VCD diese Entwicklung positiv, und warum?

Ich werde manchmal gefragt wieviel Geld die Deutsch Bahn an den VCD spendet. Klare Antwort: Es sind null Euro. Wichtig ist für uns, dass möglichst viele Züge zuverlässig und zu bezahlbaren Preisen fahren – nicht welche Farbe die Züge haben. Wir freuen uns über den Wettbewerb, denn er dient meist den Fahrgästen. Es könnten gerade im Fernverkehr noch mehr sein. Dort befördert die Deutsche Bahn 99 Prozent der Fahrgäste. Flixtrain macht zumindest auf einigen Hauptstrecken Druck und sorgt so auch dafür, dass die DB nicht nach Belieben Preise anheben kann. Im Nachtzuggeschäft ist vor drei Jahren glücklicherweise die ÖBB eingestiegen, wo die DB hingeschmissen hat. Letztlich kann ich aber die Bahnunternehmen verstehen. Das Geschäft auf der Schiene ist schwer, gerade für StartUps. Man braucht einen langen Atem, der Konkurrenzkampf, auch mit der Straße und den Billigfliegern, ist hart. Das macht es schwer Geld zu verdienen. Ich denke, wenn die Bundesregierung die Mehrwertsteuer auf Bahntickets und besser noch die Trassenpreise angeht, trauen sich auch mehr Unternehmen auf das deutsche Schienennetz. Einen Nachteil hat der Wettbewerb aber: Für Fahrgäste werden Reiseinformationen und das Buchen von Tickets undurchsichtiger. Denn leider können sich die Bahnunternehmen oft nicht darauf einigen, auf ihren Plattformen gegenseitig Tickets zu verkaufen.

Wäre kostenloser ÖPNV eine Alternative für staugeplagte Städte?

Nicht kostenloser ÖPNV, aber mehr ÖPNV wäre eine Alternative. In vielen Städten, auch in den kleinen Großstädten, sind Busse und Bahnen in der Hauptverkehrszeit überfüllt. Der Netzausbau wurde oft jahrelang zu zögerlich angegangen. Ich denke, zuerst muss das Angebot kräftig ausgebaut werden. Wenn dann ausreichend Kapazität da ist, können die Preise sinken. Nicht auf null, denn für eine gute Leistung sind Fahrgäste auch bereit etwas zu zahlen. Das 365€-Jahresticket scheint mir ein guter Kompromiss. Insgesamt muss aber mehr Geld in das System ÖPNV. Das ginge z.B. mit einer stadtweiten Abgabe, ähnlich der Grundsteuer. So würde nicht jeder dasselbe zahlen, sondern Besitzer von großen Grundstücken und Immobilien mehr. Auch Unternehmen wären beteiligt. Dieses Geld braucht der ÖPNV aber als zusätzliche Finanzierungssäule, nicht um die heutigen Einnahmen aus Tickets zu ersetzen. Mit den Tickets der Fahrgäste werden derzeit drei Viertel der Betriebskosten des ÖPNV gedeckt.

Wie oft bist Du mit der Bahn unterwegs und was gefällt Dir persönlich daran?

In Berlin bin ich sehr multimodal unterwegs. Oft per Fahrrad, aber auch mit der S-Bahn, U-Bahn, zu Fuß oder mit dem Leihrad. Wenn ich die Stadt verlasse, dann eigentlich nur in einem ICE, denn ein Auto habe ich mir nie angeschafft und das Fliegen meide ich. Ich mag, dass man im Zug unter Menschen ist, es aber doch ruhig zugeht. Wenn ich meine Arbeit während der Fahrt erledigt habe, schaue ich Serien auf dem Tablet oder mach einfach mal die Augen zu.

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